Bild: THÉO & HUGO

22. Französische Filmtage

16.11.–23.11.2016

Passage, Schaubühne Lindenfels

www.franzoesische-filmtage.de

Anhaltende Kräfte, Regie-Legenden ganz nah und animierte Meisterschaft

Ein Blick auf die 22. Französischen Filmtage

Jean-Christophe Tailpied, Direktor des Institut français Leipzig, fand auf der Pressekonferenz lobende Worte für das hiesige Publikum, welches ihn durch Frankophilie plus Frankophonie beeindruckt. Und weil das so ist, gehen die Französischen Filmtage nunmehr in die unglaubliche 22. Runde; und zwar ohne Ermüdungserscheinungen, das sei schon mal konstatiert.

Das Eröffnungskino wechselt bekanntlich jedes Jahr, 2016 ist die Passage dran und zeigt JACQUES – ENTDECKER DER OZEANE, das biographische Porträt des Meeresforschers Jacques-Yves Cousteau, seines Sohnes Philippe und beider Differenzen. Nur ein Highlight des Programms, welches Petra Klemann von den Passage Kinos als „üppig“ und „vielfältig“ beschreibt sowie im Vergleich zu 2015 „weniger komödienlastig“ nennt. Schauen wir es näher an.

Traditionell locken allerhand brandneue Filme, darunter beispielsweise DIE SCHLÖSSER AUS SAND, eine tragikomische Liebesgeschichte, prämiert mit dem Publikumspreis der diesjährigen Filmkunstmesse. Oder Wim Wenders’ Theaterstück-Adaption DIE SCHÖNEN TAGE VON ARANJUEZ, deren Thema die Unterschiedlichkeit von Mann und Frau stellt. Xavier Dolan läßt in EINFACH DAS ENDE DER WELT erneut eine unter anderem durch Marion Cotillard und Vincent Cassel verkörperte Familie aufeinander los. Spannung verspricht hingegen der in Cannes ausgezeichnete Psychothriller PERSONAL SHOPPER um eine junge, medial begabte Frau. Und, und, und!

Die traditionelle Schaubühne-Retrospektive widmet sich hingegen diesmal keinem Künstler, sondern untersucht mittels sechs ausgewählter Vertreter die Ästhetik und Narration frankophoner Animationsfilme; aufgezeigt wird, daß die simple Logik „gezeichnet = für Kinder“ nicht bestehen kann. Den Beweis liefern beispielsweise PERSEPOLIS sowie DER PHANTASTISCHE PLANET, eine derart kompakte Animations-Reihe gibt’s übrigens erstmals in der Geschichte des Festivals.

Überdies würdigt das Haus mit einem „Memento mori“ Meisterregisseur Jacques Rivette, gestorben am 29. Januar 2016. Zu sehen sind drei seiner unsterblichen Arbeiten. Ebenfalls Ikonen auf dem Regiestuhl, aber glücklicherweise am Leben: die Gebrüder Dardenne. Grund genug für die Passage, ihnen eine fünf Einträge umfassende Hommage zu widmen, darunter neben Eigentlich-schon-Klassikern à la L’ENFANT auch das im Dezember startende Drama DAS UNBEKANNTE MÄDCHEN. Es folgt der Ärztin Jenny, welche nach dem Tod einer Patientin Schuldgefühle plagen, weshalb sie auf die Suche geht, um mehr über die Tote herauszufinden.

Ein weiterer größerer Block betrachtet das Schaffen des großartigen Fabrice Luchini näher, eines – man darf das so sagen – aus dem französischen Kino nur schwer wegzudenkenden Darstellers erster Güte. Dies zeigen fünf unbedingt (wieder-)sehenswerte Perlen: Die launig-bissige Komödie DAS SCHMUCKSTÜCK stammt dabei ebenso von François Ozon wie der Erotikthriller IN IHREM HAUS, eine besondere Empfehlung gilt weiterhin INTIME FREMDE – Luchini im unheilvoll-amüsanten Schlagabtausch mit Sandrine Bonnaire.

Und noch eine weitere, etwas ausführlichere Empfehlung eines Films, der einmalig in einem Sonder-„QueerBlick” gezeigt wird: Die Regisseure Olivier Ducastel und Jacques Martineau, genau, die von MEERESFRÜCHTE, haben sich mit THÉO & HUGO von der Côte d’Azur weg hinein in ein verblüffend unverbraucht gefilmtes nächtliches Paris gestürzt, wobei der endlos scheinende Auftakt in einem schwulen Sexclub durch den Fortlauf einer ungewöhnlichen Geschichte des Verliebens dann doch noch seinen Sinn kriegt. Nach heftiger Vögelei machen sich Théo und Hugo auf den Heimweg, versichern sich, daß dieses Kennenlernen irgendwie anders, besonders war, doch plötzlich dreht sich der Taumel in Panik. Théo hatte im Eifer das Kondom vergessen, Hugo ist HIV-positiv.

Die folgende hysterisch, angstvoll und mit Schuldzuweisung angepeilte, komplett unromantische Postexpositionsprophylaxe nehmen die beiden Regisseure als Vorlage für eine so ziemlich in Echtzeit erzählte, durch wunderbare Schauspieler getragene und dann doch romantische Geschichte des Verliebens. Théo und Hugo teilen aus, stecken ein, sie krallen sich an das schon wieder zerbrechliche Glück wie kleine Kinder, denen man das Spielzeug wegnehmen will. Das rührt dann doch sehr an, und was so dunkel begann, endet vielleicht nicht in gleißender Heile-Welt-Stimmung, aber immerhin gibt es Hoffnung. Und das ist doch heute schon was, wenn nicht gar alles.

Und abschließend: Für Freude sorgen nicht zuletzt noch hochwertiges Repertoire, dort inbegriffen die Publikumslieblinge BIRNENKUCHEN MIT LAVENDEL und FRÜHSTÜCK BEI MONSIEUR HENRI, und das Jugendfilmfestival Cinéfête. Wir wiederholen’s gern: Müdigkeit sieht vollkommen anders aus!

[ Frank Blessin/Michael Eckhardt ]