Bild: FRAGILE

Cinema Schalom

03.07.–05.07.2015

2cl Sommerkino auf Conne Island, Cinémathèque

Aus Vergangenheit und Gegenwart

Ein Blick auf „Cinema Schalom – Das Jüdische Filmfestival Berlin zu Gast“

Erstmals präsentiert sich das Festival in Leipzig und hat Großes im Gepäck, namentlich ein Best Of des Jahres 2014. Wir wollen nachfolgend versuchen zu klären, ob hier wirklich nur das Beste zu sehen sein wird – und beginnen mit BUREAU 06: Thema dieser tatsächlich sehr starken Doku sind die Vorbereitungen des Prozesses gegen Adolf Eichmann, mitverantwortlich für die Ermordung von schätzungsweise sechs Millionen Menschen während des Holocausts. Originale Tondokumente, archiviertes Bildmaterial, Interviews und Spielszenen verbinden sich zur intensiven, lange im Gedächtnis haften bleibenden Geschichtsbetrachtung mit Weiterdenkpotential. Fast ebenso ins Mark kriechend hinterfragt WE ARE HERE, ob im heutigen Polen noch jüdische Spuren zu finden sind, wie man dort die jüdische Identität lebt. Fünf dazu in den Fokus gerückte Menschen zeichnen diesbezüglich zwar ein ziemlich düsteres, aber die Hoffnung nie verlierendes Bild – gegen Vorurteile und Mißtrauen, in Aufbruchsstimmung.

Eine weitere vorbehaltlose Empfehlung kommt LONELY PLANET zu, der sich Genregrenzen strikt verweigert, zwischen Doku, Mockumentary und Märchen pendelt. Grundsätzlich geht hier ein Kamerateam auf die Suche nach Mishka Zilberstein, der (wie die Legende berichtet) als Junge unter Wölfen aufwuchs, so den Zweiten Weltkrieg überstand. Die Odyssee verquickt Gespräche, Begegnungen mit knarzigen Bewohnern Sibiriens, Stummfilmsequenzen und verdächtig inszeniert scheinende Verwicklungen – ein unglückseliges Mitglied der Crew muß zwecks Konfliktlösung mal eben spontan heiraten – zum wilden Ritt, dessen Einzigartigkeit außer Frage steht.

Als nicht ganz so nachhaltig bleiben hingegen zwei der drei Spielfilme in Erinnerung, zunächst FRIENDS FROM FRANCE. Hier folgen wir Cousin und Cousine, die 1979 als verlobtes Paar getarnt nach Odessa reisen. Angeblich aus Urlaubsgründen, faktisch jedoch, um schikanierten, mit Ausreiseverbot belegten Juden zu helfen, beispielsweise durch Medikamentenlieferungen. Solch‘ gefährliches Treiben erweckt indes schnell die Aufmerksamkeit des KGB ... Das von wahren Ereignissen inspirierte Drama knickt nach beeindruckender erster Hälfte leider weg, weil plötzlich die problematische Liebe zwischen unseren beiden Unerschrockenen die politische Dimension heftig ausbremst, zu fast schon schnulzigem Ton führt. Auf andere Weise oberflächlich zeigt ANDERSWO, wie die in Berlin wohnende Noa einer Sinnkrise verfällt, vollumfänglich an ihrer Beziehung, der Forschungsarbeit, eben quasi allem zweifelt. Abhilfe verspricht ein Besuch zu Hause, also fährt sie gen Israel. Doch anfängliche Freude verderben nun ebenso hochkochende Konflikte – die Schwester intrigiert, Mamas Vorwürfe schmerzen, und Oma erkrankt schwer. Noa fühlt sich erneut verloren und der Zuschauer gleich mit, da ungelenke Dialoge und plätscherndes Geschehen kaum zur echten Identifikation einladen.

Daß es anders geht, beweist schließlich FRAGILE und wurzelt in Jerusalem 1966. Dort wächst Michal nicht ganz kindgemäß heran, möchte man sagen, denn die zutiefst melancholische Mutter Ruthy, der ständig abwesende Vater und das marode Wohnhaus bieten wenige Entfaltungsmöglichkeiten. Doch dann nimmt Ruthy eine Untermieterin auf, und die geistigen Mauern bersten. Was auf mehrerlei Ebene funktioniert, konkret als Abbild einer psychischen Störung, Gesellschaftsgemälde, Coming-of-Age-Erzählung sowie Neubeginnsgeschichte. Insgesamt überzeugen also vier von sechs Gastmitbringseln ohne Wenn und Aber. Kein schlechter Schnitt.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...