© Joachim Gern

„Ich spiele gern mein Alter!“

[ 03.07.2020 ] WIR BEIDE zeigt zwei ältere lesbische Frauen …

Genau das hat mich sehr interessiert, denn oft zeigt man nur die jüngeren. Da läuft wohl diese Anmachgeschichte für Männer. Bei uns geht es aber gerade nicht um körperliches Ausstellen, sondern wirklich um Liebe.

Mußte die Zeit für einen solchen Film erst reifen?

Allein, wenn man betrachtet, daß Regisseur Filippo Meneghetti sechs Jahre für die Finanzierung gebraucht hat, stimmt das wohl. Man merkt jetzt erst, daß auch ältere Frauen von Interesse sind. Überraschend ist, daß auch junge Menschen vom Film sehr berührt waren, wenn sie in den Film geraten sind. Er bekam zwei Festivalpreise von Studentenjurys.

Meneghetti wollte unbedingt vermeiden, daß die Zuschauer Mitleid für diese Frauen empfinden. Und er hat nach Schauspielerinnen gesucht, die mit ihrem Alter im reinen sind.

Ich bin mit mir und meinem Alter total okay. Das war eigentlich immer so. Ich spiele gern mein Alter.

Ein großes Thema von WIR BEIDE ist die Familienlüge. Wie halten Sie es damit?

Ich bin da radikal und nicht einmal aus Gründen der Moral. Zu lügen ist einfach anstrengend. Selbst kleine Notlügen erschweren einem das Leben, auch wenn man den anderen einfach nicht verletzten will. Ich habe festgestellt, daß Familiengeheimnisse keinesfalls selten sind. Man wächst mit ihnen auf, geht mit ihnen mit und fängt an, sie zu tolerieren. Ich glaube, daß diese Art Geheimnis Menschen aushöhlt und krank macht.

Wirken einige Ihrer großen Rollen bei Ihnen heute noch nach?

Ich vergesse viel und habe mich oft gefragt, weshalb ich später nie von den Drehs geträumt habe, für die ich am meisten investiert hatte, für HANNAH ARENDT, VISION – AUS DEM LEBEN DER HILDEGARD VON BINGEN oder ROSA LUXEMBURG zum Beispiel. Es ist wie weg. Seltsam ist aber, daß ich ihre Körperlichkeit sofort wieder herstellen könnte. Ich wüßte sofort, wie Hannah Arendt gelaufen ist.

Weil Sie eben viel investiert haben, um es zu erlernen?

Ja, denn wie ein Mensch läuft und schaut, wie er seine Hände bewegt, all das gehört dazu. Das muß man sich erarbeiten. Ich sehe mich oft nicht in diesen Figuren, gerade nicht in den großen. Man muß mich häufig überzeugen. Und dann brauche ich auch mein Privates. Ich habe mich stets gefragt, was wichtig genug ist, um meine Familie allein zu lassen.

Mit welchen Erwartungen sind Sie 1993 in die USA gegangen?

Es war vor allem die Herausforderung, das Abenteuer, die Lust irgendwo zu sein, wo man meinen Namen nicht kennt. In New York dachte ich, dort gäbe es tolles Undergroundtheater. Es war die totale Enttäuschung. Aber meine zwei Söhne waren bei mir, ich lernte meinen jetzigen Mann kennen, der dritte Sohn kam, wir haben uns schnell vernetzt. Da geht man nicht einfach wieder weg.

War es schwer, sich auch in Deutschland präsent zu halten?

Bewußt habe ich das nie gemacht. Karriereplanung habe ich nie betrieben. Die Pausen nach den Kindern waren groß, auf irgendwelchen Events werden Sie mich nie groß herumtanzen gesehen haben.

Ist Deutsch für Sie die Heimatsprache geblieben?

Natürlich, es ist eine tolle Sprache, die ich sehr liebe. Erst in den letzten Monaten passiert es mir, daß ich plötzlich ein Wort weder auf Deutsch noch auf Englisch weiß.

Erschreckend ist, daß Sie sich selbst beispielsweise für die US-Serie „12 Monkeys“ nicht synchronisieren durften.

Ganz furchtbar! Die reine Unkultur! Ich will wirklich keiner deutschen Synchronsprecherin den Job wegnehmen, aber gerade habe ich für eine Serie eine emotionale Szene mit Al Pacino gedreht, mit Schreien, Weinen, allem Drum und Dran. Und dann darf ich sie nicht synchronisieren!

Wir sollten noch auf Fassbinder zu sprechen kommen. Haben Sie damals gespürt, daß seine Filme einen langen Atem haben werden?

Ja, das war so. Bei LOLA wußte ich, daß er erst in zehn Jahren gut sein wird. Bei BERLIN ALEXANDERPLATZ hat man sich die Mäuler zerfetzt und dann doch Abend für Abend vor den Fernseher gesetzt. Vielleicht mußte man sich erst an seine Filme gewöhnen, sie entstanden ja aus der Ablehnung gegenüber dem alten Gutfühlkino heraus.

Gibt es aus Ihrer Sicht ein Mißverständnis in der Wahrnehmung von Fassbinder, das sich hartnäckig gehalten hat?

Fassbinder hat mit jedem seiner Darstellerinnen und Darsteller anders gearbeitet. Ich persönlich habe diesen Fassbinder, der am Set Menschen gequält hat, nie erlebt. Er war mir gegenüber sehr freundlich, zuvorkommend und liebevoll.

Sie waren aber nie Mitglied der sagenumwitterten „Fassbinder-Familie.

Ich habe mich auch nie danach gedrängt. Es wird so unfaßbar viel über ihn berichtet, das einfach nicht stimmt. Ich habe etwas gegen das Selbstmythologisieren, gerade auch von ehemaligen 68ern, die sich gern als Helden der Revolution darstellen. Mein Gott, wir waren oft einfach nur junge Menschen, die auf Demonstrationen gerannt sind, weil es ein Abenteuer war.

[ Andreas Körner ]