Originaltitel: 20.000 DAYS ON EARTH

GB 2014, 96 min
FSK 6
Verleih: REM

Genre: Dokumentation, Biographie, Musik

Darsteller: Nick Cave, Susie Cave, Warren Ellis, Kylie Minouge, Blixa Bargeld, Ray Winstone

Regie: Iain Forsyth, Jane Pollard

Kinostart: 16.10.14

2 Bewertungen

20.000 Days On Earth

It’s Cave, Man!

Wie wird man einem so begnadeten und – gottlob – rätselhaften Künstler wie Nick Cave mit einem Dokumentarfilm gerecht? Indem man ihn offensiv einbindet, nichts angeht, was er nicht selbst mögen könnte, indem man ihn mit einer eigenen Form des Handwerks lockt und letztlich zufriedenstellt. Der australische Musiker Nick Cave hat das englische Regie-Duo Iain Forsyth und Jane Pollard an sich herangelassen, weil sich die drei nicht fremd gewesen sind. Hohe Reputation haben Forsyth & Pollard spätestens seit ihren Kollaborationen mit Scott Walker und vor allem der Live-Re-Creation des letzten Ziggy-Stardust-Auftritts von David Bowie. Welchen künstlerischen Schachzug würden sie nun für Nick Cave parat halten? Einen genialen! Sie zeigen den 57jährigen an einem einzigen Tag.

Es ist jener, an dem er 20.000 DAYS ON EARTH verbracht hat. Bevor die ganz Eifrigen unter den Fans nachzurechnen beginnen: Dieser Film ist eine grandiose und von Beginn an nicht geleugnete, äußerst lebendige Vermischung von Fakt und Fiktion, Inszenierung und Tatsache, vom Könnte-so-sein und War-so-nie. Forsyth und Pollard kontern auf diese Art alles aus, was nicht nur bei Cave selbst „Mißtrauen gegenüber Biographien und Dokumentationen über Stars“ erzeugt, da sie „oft eigennützig und selbstbefriedigend erscheinen.“ Ein „angeblich unaufdringlicher, beobachtender“ Stil schrecke Iain Forsyth eher ab, und Jane Pollard ergänzt: „Nick kann nicht schauspielern, aber er ist wundervoll darin, Nick Cave zu sein.“

Also ist in diesem balancierenden Film alles drin, was mit Wertschätzung, Ehrfurcht, (Er-)Forschung, Versuch des Dekodierens und unangetasteter Symbolhaftigkeit zu tun hat. Zwischen morgendlichem Aufstehen und finalem Schlußbild vor der imposanten Meer-Land-Kulisse des Seebads Brighton liegen 96 Minuten. Nick Cave hat an diesem Tag mit den Bad Seeds fürs Album „Push The Sky Away“ geprobt, ist der Einladung seines Geigers Warren Ellis in dessen (falsches) Haus gefolgt und hat nichts vom dargereichten Essen probiert. Er war beim (echten) Psychoanalytiker Darian Leader, hatte Ray Winstone und Blixa Bargeld neben und Kylie Minogue (wie es sich für eine Lady gehört) hinter sich im Auto sitzen. Er war im Nick-Cave-Archiv, auf der Bühne, Pizza essend neben seinen Zwillingen. Er hat gesprochen – aus dem Off und in Szenen mit den anderen. Es waren launige, zwei- und mehrdeutige, witzige, sehr ernste, jede Menge kluge und philosophische Gedanken über Kunst und die Welt. Caves Tagebuch spielte dabei eine wichtige Rolle, Erinnerungen auch, und er hatte eine wunderschöne Liebeserklärung für seine Frau Susie parat. Großartig auch die Episode einer Begegnung mit Nina Simone, von der Warren Ellis noch heute den unters Piano geklebten Kaugummi der Ikone besitzen soll.

20.000 DAYS ON EARTH will nicht auf Krampf anders sein und ist am Ende doch auf eigene Weise bislang ungesehen. Als poetische Reise einer Annäherung, als stimmig fließender, visuell-akustischer Genuß höchsten Ranges. Es wird kein Musikfilm daraus und feiert trotzdem diese so facettenreichen Songs des Nick Cave, gibt ihnen im entscheidenden Maße Raum, damit sie greifen. Denn nur mit ihnen, den neuen und alten, werden wir weiterkommen.

[ Andreas Körner ]