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Babij Jar – Das vergessene Verbrechen

Weniger ist manchmal mehr

Bisweilen kann man erst am Ende einer Entwicklung den Finger auf die Wunde legen und sagen, was falsch gelaufen ist. Insofern erweist sich der Abspann dieses Films als geradezu symptomatisch für das Gesamtwerk: Im Eiltempo flimmert ein Gedicht über die Leinwand. Wer flinke Augen besitzt, wird es mit knapper Not lesen, jedoch nicht verarbeiten können. Was bleibt, ist ein unangenehmes "Das mußte jetzt noch irgendwie rein"-Gefühl.

Dabei hätte die Handlung derartige Zusätze nicht nötig, sondern spricht mittels Abbildung geschichtlicher Ereignisse für sich: Im September 1941 ist es auch in Kiew überlebenswichtig, kein Jude zu sein. Familie Lerner soll wie viele andere ebenfalls vertrieben werden, weswegen die ukrainische Nachbarin Lena schon von Übernahme des Hauses träumt und vor keinem Mittel zurückschreckt, ihr Ziel zu erreichen. Notgedrungen verlassen die Lerners Kiew, doch Nazi-Schergen fassen die Fliehenden und deportieren sie zusammen mit über 30.000 anderen Juden nach Babij Jar, wo es zum unmenschlichen Massaker kommt.

Wer ein solch immer noch bedeutsames Thema aufgreift, wandelt auf schmalem Grat – und stürzt leicht ab, was sich hier bewahrheitet: Etwas Distanz, Zwischentöne, dafür weniger Pathos wären nicht wünschenswert, sondern zwingend nötig gewesen. Natürlich bekommt Verräterin Lena am Ende ihre verdiente Strafe, und ebenso logisch trotzt schließlich die Liebe allen Greueln. Was Gerechtigkeit oder Hoffnung zum Ausdruck bringen soll, erscheint aber lediglich erschreckend simpel, eben zwangsweise abgehandelt. Da bleibt selbst den eigentlich großartigen Darstellern meist nur verzweifelter Rückzug in Gestikulieren und Geschrei. Auf der Theaterbühne hätte dies, wie auch die statische Inszenierung, vielleicht einen gewissen Effekt erzielt – im Kino wirkt beides deplaziert.

So hasten Regie und Drehbuch, gemeinschaftlich gut gemeintem Eifer erlegen, über die selbst gesteckte Ziellinie, ohne eines zu bemerken: In ihrem völlig überfrachteten Drama ist der Aufruf wider das Vergessen leider auf der Strecke geblieben.

D/Rußland 2003, 108 min
Verleih: CCC Filmkunst

Genre: Drama, Historie

Darsteller: Michael Degen, Barbara de Rossi, Katrin Saß, Axel Milberg, Gleb Porschnew

Regie: Jeff Kanew

Kinostart: 03.07.03

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...