Originaltitel: LES RENCONTRES D’APRÈS MINUIT

F 2013, 89 min
FSK 16
Verleih: Salzgeber

Genre: Drama, Erotik

Darsteller: Niels Schneider, Éric Cantona, Béatrice Dalle, Alain-Fabien Delon

Regie: Yann Gonzalez

Kinostart: 17.07.14

6 Bewertungen

Begegnungen nach Mitternacht

Tanzen und Ficken gegen das Alleinsein – ein märchenhafter Fiebertraum

Eine gute Party hängt von den Gästen ab, keine Frage. Bei einer Orgie ist das eigentlich auch nicht viel anders. Deswegen verspricht es, ein durchaus gelungener Abend zu werden, als das rätselhafte Liebespaar Matthias und Ali die Pforten ihrer endschicken Bleibe öffnet für: die Schlampe, den Hengst, den Star und den Teenager. Ein Auszug aus der erlesenen Gästeschar ...

Im Ernst: Was Regisseur Yann Gonzalez mit dieser Ouvertüre lostritt, entpuppt sich als ein donnerndes, erotisch knisterndes, seine waidwunden Geschöpfe in aller Derbheit und Zärtlichkeit zugleich liebendes und demaskierendes Filmungetüm, welches man kaum nacherzählen kann und mag, sehen muß man es. Ein schwül-schrilles Sturmgewitter, daß es nur so knackt im Swingergebälk, ein aus allen Poren dampfendes Stück Kino mit doppelten Böden und lüsternen Obszönitäten, mit scheuen Perversionen und ausgebeulten Traurigkeiten. Ein Szenario gerade so, als wären Bidgood und Genet, Buñuel und Almodóvar, Cocteau und Ozon, Rimbaud und Fassbinder in eine Badewanne gestiegen, Scham und Hysterie griffe um sich, wenn Quentin Crisp, der listig-elegante Hund, die Badeschaumpulle ausgesoffen hätte. Irgendwie vorstellbar?

Nun gut, anstelle von Crisp hat eine Gouvernante, die auf den Namen Udo hört, die Rolle des Zeremonienmeisters übernommen, eine Zofe, die ein unverschämt kurzes Schürzchen trägt und eigentlich die ganze Zeit zerfließt. Was nicht wundert: Der Hengst packt aus, die Schlampe spritzt, die Diva begießt ihren Neurosengarten, und der Teenie spricht von Nachtlagern und Einsamkeit. Schließlich wird die Bar eröffnet, man offeriert Kokain, Poppers, und notfalls geht auch Whisky. Doch halt! Die furchtsameren unter den Kinogängern brauchen sich nicht abzuwenden, denn Gonzalez ist nicht am puren Schock gelegen, er weiß um die Verderblichkeit der Laster, schon daher interessiert ihn der leicht angegeilte Blick von oben herab nicht. Gonzalez will verstehen, und in dieser ehrbaren Absicht läßt er seine Figuren sich entkleiden; ganz praktisch, klar, interessanter aber noch – auch emotional. Und deshalb hören wir die in Rausch und Fieber Zueinandergefundenen an, sie entführen uns in müde Leben und in erfahrenes Leid, in die Schwanzarmada-Träume einer verfallenden Prinzessin, in die Straßenfluchten und Eckenstehereien eines suchenden Kindes, in ein Mäandern zwischen Leben und Tod, daß den Bund zwischen der schönen Ali und dem engelsgleichen Matthias prägt. Und schließlich führt uns der Exkurs hinter Gitterstäbe, wobei es zu einem Wiedersehen mit der berühmten Zahnlücke kommt, an der dann irgendwann Béatrice Dalle dranpappt.

Es ist ein verrücktes Ding mit diesem Bilderwerk, mit diesem ruppigen Film, dem eine übergroße Zärtlichkeit eigen ist, der dem unbesiegbaren Glauben an die Liebe nachhängt, an eine nie versiegende Vitalität. Bei allem schrillen Subtext geht es nämlich vor allem um Flucht und schmerzlich vermißte Zuneigung, um delirierende Mutterliebe und einen extrem phallisch geprägten Narzißmus. Und noch mehr um Todesangst und Eifersucht sowie um die Furcht vor dem dunkelsten aller Dunkel. Das Eintauchen in die Verletzungen der Figuren, das Bade in den Pfützen unerfüllter Wünsche und das Driften in den Wahnsinn von Sehnsuchtsmanien, die unserem Dasein den verzweifelten Takt aus Ficken und Tanzen aufbürden, das Auflösen aller Geschlechternormen – all das rührt hier wirklich an! Weil Gonzalez im richtigen Moment den 80s-Trash- und Pornoappeal seines abgefahrenen Fiebertraums zurückdreht. Dann spiegelt er wortstark und bildgewaltig – jawohl, lupenreine Kinobilder sind es nämlich trotz der räumlichen Einschränkungen geworden – ein Leben wider, das seine verzweifelte Fratze kaum zu verhüllen mag. Ein trauriges, oft einsames Leben. Eine Expertise, die in einer wunderbaren Idee ihre Verankerung findet: Eine sensorische Jukebox steht im Raum, die allein durch Handauflegen die zu den subjektiven Nöten und Bedürfnissen passende Musik abspielt. Welch’ Träumerei, welch’ herrlicher Old School-SciFi-Gimmick!

Doch wie hält man so etwas zusammen? Nun, Gonzalez, ein durch und durch gewiefter Kerl, gibt seiner Geschichte die Klammer eines eigenwilliges Märchenlandes. Denn nur so läßt sich diese nüchterne, brachiale, hochintelligente Quintessenz vom Kampf gegen den Lebensekel aushalten, die da lautet: Wir sind allein. Wir ficken allein.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.