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Belgrad Radio Taxi

Das Pendel schlägt in Richtung Liebe

Eine Brücke verbindet das neue und das alte Belgrad miteinander. Dort staut es sich immer, wie die Radiostation, die nur noch wenige Tage am Äther hängt, fröhlich verkündet. Dieser Stau auf der Brücke dient Regisseur und Autor Srdan Koljevic als Folie für die heutige politische Situation in Serbien, in der das „Pendel“, wie er sagt, wieder in Richtung „Leben, der Wiederentdeckung der Liebe und der Überwindung der Narben der Vergangenheit“ schwingt.

So tragen alle seine Hauptfiguren an einschneidenden Verletzungen, die an die Oberfläche kommen, als eine junge Frau mit gebrochener Nase mitten auf der Brücke einfach aussteigt und sich von der Brüstung stürzt. Zurück läßt sie ihr Baby auf dem Rücksitz und den ratlosen Taxifahrer Gavrilo. Er ist ein bosnischer Flüchtling, der sich in die innere Emigration begeben hat und eigentlich nichts wissen will von der Welt außerhalb seines Autos. Jetzt ist da ein Kleinkind, das ihn zu seiner einzigen weiblichen Bekannten Jadranka führt, einer alternden Prostituierten, die immer noch Tito verehrt und mit ihm die Zeit ihrer Jugend. Aber auch bei Biljana, die im Auto neben Gavrilos Taxi saß und mit ihrem Verlobten die Hochzeitsplanung durchging, löst der Schock des Brückensprungs Erkenntnis aus – oder lag es daran, daß sie nicht an Titos Geburtstag heiraten wollte? Jedenfalls springt sie in das Auto von Anica und trennt sich. Anica wiederum durchlebt durch den Selbstmordversuch der jungen Frau gerade den schlimmsten Tag ihres Lebens noch einmal.

Koljevic führt die Wege seiner Personen, gekoppelt an ihre Entscheidungen und inneren Konflikte, immer wieder zusammen. Mal durch direkte Begegnungen, manchmal durch am Rande erzählte Parallelen oder auch nur auf der Bildebene. Dramaturgisch ist der Film ein kleines Meisterwerk – an dieser Stelle sei auch Niels Pagh Andersen erwähnt, der ihn großartig montierte. Teilen Anica, Gavrilo und Biljana ihre Verluste und abgekapselte Gefühle auch nicht direkt, irgendetwas ist aufgebrochen und verlangt nach Auseinandersetzung. Die Frau mit der gebrochenen Nase läßt Gavrilo wieder Verantwortung fühlen, Anica findet vielleicht in Biljana eine Freundin, und diese schafft es, sich ihrer Liebe zu stellen.

Die Einzelschicksale fügen sich zu einem zu Herzen gehenden Einblick in die Gefühlswelt des Balkans, begleitet von wunderbar kitschigem Balkanpop aus dem Radio.

Originaltitel: BELGRAD RADIO TAXI

D/Serbien 2010, 101 min
Verleih: Farbfilm

Genre: Episodenfilm, Drama, Schicksal

Darsteller: Nebojsa Glogovac, Anica Dobra, Branka Katic, Nada Sargin

Regie: Srdan Koljevic

Kinostart: 21.07.11

[ Susanne Schulz ]