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Berg Fidel

Einübung des Außergewöhnlichen

Besonders sein – wer wollte sich den mit der Geburt erworbenen Exklusivitätsanspruch streitig machen lassen? Ob es sich bei diesem Besonderen nun aber um eine ganz gewöhnliche Sonderbegabung oder etwa um einen aus der Reihe tanzenden Sonderfall mit gesondertem Betreuungsbedarf handelt, wird spätestens beim Schulanfang zur alles entscheidenden Frage. Nicht, daß das deutsche Schulsystem die einen lieber als die anderen hätte, Gott bewahre! Aber es mag die Objekte seiner Beschulung doch am liebsten säuberlich auseinandersortiert.

Die Münsteraner Grundschule Berg Fidel arbeitet derweil am Gegenbeweis zu diesem Aschenputtel-Prinzip. In den Klassen lernen Kinder gemischten Alters, mit und ohne Behinderung, mit und ohne erhöhten Förderbedarf gemeinsam. Die als „Inklusive internationale Modellschule“ beispielgebende Einrichtung ist nun vom Gegenstand pädagogischer Fachdiskussionen in Hella Wenders’ DFFB-Abschlußarbeit auch zum Filmstoff avanciert. Viel besser noch: Wenders erklärt nicht, sondern leuchtet ein.

Zwischen 2007 und 2011 begleitete sie den Schulalltag in Berg Fidel, konzentriert auf vier Kinder, deren Sorgen, Erfolge und hochtrabende Träume, deren mal enttäuschende, mal beflügelnde Erfahrungen mit den eigenen Möglichkeiten diesem Dokumentarfilm Perspektive, Sprache, Rhythmus und schließlich auch eine unmittelbare Überzeugungskraft geben. David, der schwierige Aufgaben und geräuschschluckende Teppiche liebt. Anita, die dünn sein möchte, vor allem aber nicht ins Kosovo abgeschoben werden will. Jakob, dessen Privatsprache die Klassenkameraden zu Übersetzungshochleistungen anspornt. Sie alle sind wandelnde Plädoyers – nicht für irgendein Modell, das hier oder dort an Grenzen stoßen mag, sondern für den Reichtum an Fähigkeiten, den dieses Miteinander produziert.

Weitgehend konsequent bleibt die Kamera auf Augenhöhe der Kinder – der Bildausschnitt gefüllt mit dem, was sie hören und anfassen können, und so herrlich unvorteilhaft für die oft nur „halben“ Erwachsenen. Schließlich bekommen die genug Gelegenheit, sich in Gänze am bildungspolitischen Diskursgemurmel zu beteiligen. Lucas murmelt auch manchmal, wenn er etwa mit einer Buchstabenfolge kämpft, die kein Wort ergeben will. Auf Wenders’ Frage, was er an der Schule am besten finde, antwortet er mit entwaffnender Ehrlichkeit: „Die Pausen und Sport.“ Ja, wie gewöhnlich ist das denn?!

D 2011, 87 min
FSK 0
Verleih: W-Film

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Hella Wenders
Drehbuch: Hella Wenders

Kinostart: 04.10.12

[ Sylvia Görke ]