CH/D 2020, 119 min
FSK 16
Verleih: Port au Prince

Genre: Drama

Darsteller: Marie Leuenberger, Joel Basman, Jella Haase

Regie: Oliver Rihs

Kinostart: 31.03.22

1 Bewertung

Bis wir tot sind oder frei

Voller Kampfgeist

Gewaltsame Konfrontationen zwischen Staat und Bürgern sind nichts Neues: Seien es die Studentenproteste der 68er, die Baumschützer von Stuttgart 21 oder die Anti-Corona-Maßnahmen-Demonstrationen. Die Verteidigung der Freiheit wird dabei oft von allen Beteiligten wie ein Fanal vor sich hergetragen.

Auch die Protagonisten von BIS WIR FREI SIND ODER TOT dürsten geradezu nach Freiheit. Sie widmen ihr ganzes Streben diesem wolkigen Ideal und ertragen das Ersehnte am Ende doch nicht. Dabei fällt auf: Je fanatischer sie danach streben, umso härter sind sie zu ihren Mitmenschen und zu sich selbst. Freundlichkeit geht ihnen weitgehend ab, Zärtlichkeit gestatten sie sich allenfalls in flüchtigen Momenten. 1980 kämpft die Anwältin Barbara Hug in Zürich mit messerscharfem Verstand und noch schärferer Zunge für ihre Klienten aus der linken Szene und gegen eine repressive Justiz, die den ganzen „Abschaum“ am liebsten ins Umerziehungslager stecken würde. Der lange Schatten der Nazizeit belastet die Beziehung zwischen den Generationen schwer. Die Rebellion richtet sich auch immer gegen die eigenen Eltern. Bewundernd schaut Barbara nach Deutschland, wo die linken Anwälte Otto Schily und Hans-Christian Ströbele den Staat im Gerichtssaal vorführen.

Gelegenheit zum großen Auftritt bietet ihr schließlich die Verteidigung des notorischen Kriminellen Walter Stürm. Mit Politik hat der charismatische „Ausbrecherkönig“ nichts am Hut, aber er lehnt sich vehement gegen jegliche Autoritäten auf – ob er nun gegen Isolationshaft protestiert oder für ein besseres Gefängnis-Müsli. Dadurch wird er zu einer idealen Projektionsfläche für die linke Schweizer Szene, die bald „Freiheit für Stürm“ auf ihren Demos fordert.

In der Schweiz ist Walter Stürm bis heute ein bekannter Name, der seiner Anwältin weit weniger. Regisseur Oliver Rihs stellt diese eigenwillige Frau ins Zentrum seines differenziert inszenierten Geschichtsspiels. Ihr glühender Kampfgeist nimmt selbst auf ihren eigenen Körper – seit ihrer Kindheit ist Barbara schwer nierenkrank und kann sich nur auf Krücken fortbewegen – keine Rücksicht. Marie Leuenbergers nuanciertes Spiel verleiht ihr neben aller Härte eine versteckte Verletzlichkeit und innere Einsamkeit, die sehr berühren. Freiheit allein scheint noch kein Garant für Glück.

[ Dörthe Gromes ]