7 Bewertungen

Biutiful

Chronologie eines Übergangs

Mit seinem Langfilmdebüt AMORES PERROS entfachte der Mexikaner Alejandro Gonzáles Iñárritu zum letzten Jahrtausendwechsel einen Kinosturm, der einem schier den Atem nehmen wollte. So mancher wähnte sich verschüttet unter einem Meilenstein. Inzwischen war Gelegenheit, den Stein von allen Seiten zu begucken und die Meilen zu Iñárritus nächsten Melodramen zu beschreiten. 21 GRAMM und BABEL folgten nach, beide schwer beladen mit Leid und Schuld, beide mutwillig zerlegt in parallele, sich überlagernde, ja auslöschende Geschichten. Man begann schließlich, sich an diese kunst- und schmerzvollen Weltzerschlagungen zu gewöhnen.

BIUTIFUL ist nun der Versuch, diese Gewöhnung zu irritieren – mit einer exponierten Hauptfigur und ihren Trabanten, mit einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Der liegt im schäbigen Teil von Barcelona, bei den improvisierten Handelsplätzen der Einwanderer aus China und Afrika. Hier ist der Katalane Uxbal zu Hause. Er kennt die notdürftigen Unterkünfte der Illegalen, versorgt sie mit Ware, verkauft ihre Arbeitskraft und manchmal sein Gewissen. Zu seiner prekären Existenz gehören eine psychisch kranke Ex-Frau, zwei Kinder, denen er ein sanfter Vater ist, und eine seltsame spirituelle Begabung: Uxbal kann mit den Toten sprechen, kann ihnen beim Ankommen auf der anderen Seite helfen. Aber wer wird zu ihm sprechen, wenn es so weit ist? Der Moment rückt näher, denn Uxbal hat Prostatakrebs im Endstadium.

Iñárritu erzählt die Geschichte eines Todgeweihten bis zum unausweichlichen Ende, detailliert bis zum Blut im schmutzigen Becken, betörend bis zur Ankunft in einer lichten Ewigkeit zwischen Bäumen. Den Weg dorthin bereitet er seinem Sterbenden poetisch, legt ihm ein ganzes flirrendes Häusermeer als Teppich unter die Füße, dämpft die Stadtgeräusche, wenn sie unerträglich werden, leuchtet dem Irrlichternden durch nächtliche Wohnungen. Und sorgt doch als echter Kinodichter dafür, daß die bevorstehende Apokalypse unter den Zimmerdecken, in jeder Filmecke präsent bleibt: schwebende Leichen, hängengeblieben in einer Zwischenwelt.

In vielerlei Hinsicht ist BIUTIFUL also auch die Geschichte einer Erlösung – nicht zuletzt von der irrigen Annahme, Schönheit sei zwingend wohlbuchstabiert.

Originaltitel: BIUTIFUL

Mexiko/Spanien 2010, 147 min
FSK 16
Verleih: Prokino

Genre: Drama

Darsteller: Javier Bardem, Maricel Álvarez, Cheikh Ndiaye, Diaryatou Daff, Cheng Tai Shen, Luo Jin

Regie: Alejandro Gonzáles Iñárritu

Kinostart: 10.03.11

[ Sylvia Görke ]