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Blind und häßlich

Ein hinreißend tollkühner Film

Okay, er sieht nicht grad aus wie Ryan Gosling. Aber häßlich? Häßlich ist echt anders. Doch da könnte man reden, wie man will – wenn der Ferdi in den Spiegel schaut, dann sieht er einen Typen, mit dem nie auch nur irgendeine Frau was zu tun haben möchte. Davon ist der Ferdi überzeugt. Und geht ganz auf im Bewußtsein seiner Häßlichkeit. Was eigentlich heißt: Er geht unter, mehr und mehr. In Einsamkeit und Verschrobenheit, in dieser quälenden Schüchternheit, die wie ein Bleigewicht an Ferdis Leben hängt. Ferdi verliert sich immer stärker in diesem Vakuum, das in ihm dort existiert, wo eigentlich das Selbstwertgefühl sitzen sollte. Und so steht er eines Tages, all dem müde bis zum Überdruß, auf dem Brückengeländer und will es hinter sich bringen. Doch just da kommt dieses Mädchen vorbei. Jona heißt die, ist bildhübsch, ziemlich nett – und blind. Was für ein Glück!

Und ein Glück, ein verschroben kluges, hinreißendes Low-Budget-Kino-Glück nämlich, ist auch dieser Film. Tom Lass, Bruder von Jakob Lass (LOVE STEAKS, TIGER GIRL) hat ihn gedreht und den einen Teil der Titelrolle übernommen. Den anderen spielt Naomi Achternbusch (ja, die Tochter vom Herbert), und auch sie macht das hinreißend.

Der schon tollkühne Twist dieser Geschichte nun ist der, daß diese Jona, die da auf der Brücke dem Ferdi begegnet, gar nicht blind ist. Sondern nur so tut, als ob. Weil auch Jona irgendwie auf der Flucht ist vorm Leben und seinen blöden, profanen Anforderungen. Die vorgetäuschte Blindheit ist Jonas Exil vor diesen Anforderungen. Und für Ferdi, der Grund wieder Mut zu fassen. Ein hübsches Mädchen, das nicht sieht, wie häßlich er ist – ein echter Wink des Himmels.

„Tollkühn“ nun ist das deshalb, weil diese reizvolle Grundkonstellation alles hat, um die Geschichte selbst furchtbar vor den Baum gehen zu lassen. Mit Albernheiten, Rührseligkeit, dem erzählerischen Kartoffelstampf des Mainstreams. Massenhaft Klippen, die hier lauern. Lass umschifft sie alle. Zu Beginn tuckert sein stilistischer Gegenkurs zwar fast etwas plakativ auf den Wellen kauziger Exzentrik, aber bevor das zur Masche verkommt, kriegt der Film sich ein und findet einen wunderbar einnehmenden Erzählton tragikomischer Lakonie.

Und wenn Ferdi irgendwann der „blinden“ Jona seine Häßlichkeit eingesteht, reagiert die mit einem „Papperlapapp“; einem so ruppig-zärtlichen „Papperlapapp“, daß es tatsächlich das Zeug zu einer der schönsten Liebeserklärungen der Filmgeschichte hat.

D 2017, 98 min
FSK 12
Verleih: Daredo

Genre: Tragikomödie, Liebe

Darsteller: Tom Lass, Naomi Achternbusch, Eva Löbau

Regie: Tom Lass

Kinostart: 21.09.17

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.