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Brand Upon the Brain!

Eine Operation am offenen Herzen des Kinos

Am besten wäre es, aus Zufall in einen Guy-Maddin-Film zu geraten. Das Kino zu betreten, ohne zu wissen, was einen erwartet. Und sich dann überwältigen zu lassen von einem einzigartigen Filmerlebnis. Es gibt einfach niemanden, der Filme macht wie Guy Maddin. Der Kanadier ist ein autodidaktischer Stummfilmliebhaber mit einer ausgeprägten Vorliebe für assoziative Bild-Ton-Montagen und einem Humor mit einem gehörigen Schlag ins Splattrige.

BRAND UPON THE BRAIN! lief 2007 auf der Berlinale – mit Live-Orchester, mehreren Geräuschemachern im Saal und Isabella Rosselini als Erzählerin und Zeremonienmeisterin. Maddin verbindet auf unnachahmliche Weise Elemente des Melodramas, der Komödie, des Märchens und des Stummfilmexpressionismus’ und verwebt dies zu einem Kino gewordenen Delirium der Sonderklasse.

Im Zentrum der Erzählung, die im Gewand einer Detektivgeschichte daherkommt, steht Maddins vermeintlich autobiographisch erzählte Kindheit. Die Protagonisten des Films sind seine herrschsüchtige, egomanische Mutter, ein verrückter Wissenschaftler-Vater und eine Horde Waisenkinder, die von den Erwachsenen für düstere Experimente mißbraucht werden. Maddins Alter Ego macht sich anläßlich des nahenden Todes seiner Mutter auf den Weg in seine Kindheit – wunderbar versinnbildlicht durch eine einsame Insel, die nur mit dem Boot erreichbar ist, und verfällt, kaum angekommen, in einen fiebertraumartigen Assoziationsrausch, der ihn direkt zurück in seine eigene Geschichte katapultiert. Im Takt der flackernden Einzelbilder des Stummfilms dekliniert er sich durch alle Stufen des familiären Wahnsinns. Und da wird nichts ausgelassen: die inzestuöse Mutterliebe, genährt vom eigenen wahnhaften Wunsch nach ewiger Jugend, und ein von der diktatorischen Mutter instrumentalisierter Vater, der ohne Skrupel die ihm anvertrauten Waisenkinder als Jungbrunnen mißbraucht.

Doch es ist nicht diese „offizielle“ Geschichte, die den Film so faszinierend macht. Es sind die assoziativen Bedeutungen, die eine Ebene unter der Detektivstory liegen. Erstere dient eher dazu, den Zuschauer bei der Stange zu halten (und das gelingt ihm auch!), denn wenn man ganz ehrlich ist, dann ist BRAND UPON THE BRAIN! einfach ein ungewöhnlich guter Experimentalfilm – mit gut 90 Minuten Länge. Wer mal auf ungewohnte Art die Augen geöffnet bekommen will, sollte diese Chance nicht verpassen!

Originaltitel: BRAND UPON THE BRAIN!

USA/Kanada 2006, 95 min
Verleih: Arsenal Institut

Genre: Komödie, Drama, Horror

Darsteller: Gretchen Krich, Sullivan Brown, Maya Lawson, Katherine E. Scharhon, Todd Jefferson Moore

Regie: Guy Maddin

Kinostart: 11.02.10

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.