Noch keine Bewertung

Brinkmanns Zorn

Über einen zu Unrecht vergessenen deutschen Beat-Poeten

Rolf-Dieter Brinkmann brachte die amerikanische Beat-Literatur nach Deutschland und war selbst einer der wichtigsten deutschen Avantgarde-Lyriker. Der Dichter war ein manischer Dokumentarist der Gegenwart, der versuchte, das Leben mit Worten, Cut-Up-Collagen, Super-8-Filmen und Fotos zu bannen, wohl wissend, daß ihm dies letztlich nie gelingen konnte.

Deshalb schloß das Enfant terrible der deutschen Literaturszene 1969 abrupt mit dem Schreiben ab und hängte sich stattdessen ein Tonbandgerät um, womit er fortan versuchte, die unbedingte Realität zu erfassen, indem er, fast immer schimpfender Weise, durch die Stadt streifte und seine Wahrnehmungen akustisch protokollierte. Nach seinem frühen Tod 1975 hinterließ er ein ungeheures, fast multimedial zu nennendes Oeuvre - wahnsinnig direkt, manchmal aufdringlich, nicht selten peinlich, aber immer konsequent und sehr, sehr zornig.

Aus diesem vielgestaltigen Material schuf der Regisseur Harald Bergmann einen faszinierenden Film, dessen Basis die originalen Tonbandaufzeichnungen Brinkmanns bilden. Brinkmann, seine Frau Maleen und sein Sohn Robert werden durch Schauspieler verkörpert, die lippensynchron die dokumentarischen Tonaufnahmen interpretieren. Weitere Ebenen bilden die Gedichte und Collagen Brinkmanns, von mehreren Sprechern vorgetragen und mit einem fantastischen Soundtrack versehen und seine eigenen, häufig bedrückenden Schwarz-Weiß-Fotos und -Filme. Alles dreht sich um Brinkmann - das ist einerseits enervierend, weil der ein egomanischer und ungeheuer wortgewaltiger Tyrann war, der weder seine Familie noch seine Umwelt schonte und selbst immer wieder an seinem Welthaß zu ersticken drohte.

Andererseits verschafft gerade die Verarbeitung der Originalmaterialien, vor allem der Tonbänder, dem Zuschauer einen ungewöhnlich authentischen Blick auf ein zu Unrecht in Vergessenheit geratenes Genie. Bergmann wagt viel mit dieser Arbeit, die beständig zwischen Dokument und Inszenierung pendelt, aber das Ergebnis rechtfertigt sein Vorgehen vollkommen, mehr noch: Hat man einmal erlebt, welche ungeheure Kraft von den spontan aufgenommenen Tonbändern ausgeht, ist kaum eine andere Methode denkbar.

D 2006, 105 min

Genre: Dokumentation, Biographie

Darsteller: Eckhard Rhode, Alexandra Finder, Martin Kurz, Rainer Sellien, Isabel Schosnig

Stab:
Regie: Harald Bergmann
Drehbuch: Harald Bergmann
Kamera: Elfi Mikesch
Produktion: Harald Bergmann

Kinostart: 12.04.07

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.