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Das Haus auf Korsika

Ein wundervoller Hymnus auf das Wagnis

Den Anfang machen das Ende eines Lebens und ein aufkommender Streit. Oma ist gestorben, keiner will die Urne so recht, nur ihre Enkelin Christina nimmt sich ihrer an. Dann wird geerbt. Die Eltern behalten das Haus, Christinas Bruder Tony kriegt Geld, und die knapp 30jährige, die Oma immer sehr am Herzen lag, kriegt etwas Geheimnisvolleres: eine Liegenschaft, von der bisher niemand wußte, die aber viel zu tun hat mit der Familiengeschichte von Palma, so heißt die Dahingeschiedene. Im Umschlag liegen ein Foto und ein großer, schwerer Schlüssel – der paßt ins Schloß eines Hauses auf Korsika.

Tony kauft sich einen Alfa Romeo, der Vater schnaubt, und in Richtung Tochter gibt es ohnehin nur eine Devise: Verkaufen! Als sie sich weigert, irgendwas zu verkaufen, ohne es sich angesehen zu haben, auch weil sie dies als Betrug an Oma sehen würde, ist der Vater kurz vorm Platzen. Auch Marco, ihr Freund, wankt mit seiner Euphorie für die Immobilie, schließlich bricht er gar sein Versprechen, Christina nach Korsika zu begleiten. Sie macht sich enttäuscht und dennoch hoffnungsvoll auf – nach Ile Rousse, dem einstigen Fischerdorf an der nordkorsischen Küste.

Das wäre nun die Steilvorlage gewesen für ein karamellig-süßes Abziehbild all jener Kitschromane, die so gefühlsbesoffen vom neuen Glück, der eigenen Alm, dem fernen Land und dem bärtigen einsamen Hirten erzählen. Regisseur Pierre Duculot geht einen weitaus klügeren Weg und erzählt gewissermaßen eine Lebensgeschichte. Die führt zurück zu Christinas Ahnen, die bringt sie in die erst einmal schroffe Einöde eines Ortes, der nicht eben nach Leben klingt: Mausoleo – und gerade einmal zwölf Menschen leben hier. Kaum erleichternde Umstände wären diese: Das erste freundliche Wesen, auf das Christina stößt, ist Asco, ein Hund, die wenigen dauerhaft dort lebenden Menschen sind spröde, eigenwillig und erst auf Umwegen höflich. Und als ein Nachbar sie nach einigem Sträuben zu ihrem Haus führt, wird sie Zeugin korsischen Humors: Il Palazzo. Augenscheinlich wird eine echte Bruchbude. Nun gut, das Dach ist halbwegs in Ordnung, die Grundmauern auch, aber sonst ...

Nicht ohne feinen Witz, dafür gänzlich unter Verzicht der ach so modernen Bio-Öko-Moralmeierei erzählt Duculot von einer folgenschweren Entscheidung, von einem Neuanfang und auch von einer Besinnung. Auf das Wesentliche zum Beispiel: die Natur, das Einfache, die Verlangsamung, den Mut, nicht ewig zu zweifeln, sondern einfach etwas zu wagen. Denn mit Verlaub – die Welt ist so, wie sie ist, weil eine erschreckende Mehrheit der Menschen sich für Lebenswege entschieden hat, denen kein Wagnis vorausging. Christina hingegen traut sich was!

Und die Schauspielerin Christelle Cornil füllt diese Figur mit einem beeindruckenden Charakter: zäh und sensibel, kämpferisch und enttäuscht, strukturiert und kopfüber, schlicht und dennoch anmutig. Und romantisch. Christina kommt aus dem Städtchen Charlesroi, natürlich gibt es da auch pittoreske Ecken und süße Gäßchen. Aber oft genug sieht das belgische Örtchen auch grau aus, und trotz aller pittoresken Anmut – Grau bleibt Grau. Hingegen Korsika im Sommer paradiesisch ist und im Winter eine Herausforderung. Die Christina nicht scheut.

Doch DAS HAUS AUF KORSIKA begnügt sich nicht damit, von einer auf eine einzelne Person fokussierten Selbstfindung zu erzählen. Duculot versteht den Kontext vom echten Glück. So läßt er die Familie nach den Streitereien wieder zusammenfinden, wirft diesem Heranrücken auch wieder große Steine in den Weg, schon weil Duculot der x-fach erzählten Ponyhofgeschichte gottlob mißtraut.

Und in jenen Momenten, wenn Vater und Bruder sich die neuen alten Dachschiefer zureichen, wenn kurz darauf Trauriges geschieht, aus dem aber auch neuer Lebensgeist erwächst, dann drückt’s gehörig auf der Brust. Was in Ordnung geht, denn Duculot manipuliert nicht, er bastelt keine künstlichen Leben, er erzählt aus einem. Ach so, von einem bärtigen Hirten erzählt er dann übrigens auch ...

Originaltitel: AU CUL DU LOUP

Belgien 2011, 82 min
FSK 6
Verleih: Schwarzweiß

Genre: Drama, Poesie

Darsteller: Christelle Cornil, François Vincentelli, Marijke Pinoy

Regie: Pierre Duculot

Kinostart: 12.07.12

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.