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Das traurige Leben der Gloria S.

Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs

„Verhalt’ Dich einfach ganz natürlich, mach’ genau das, was Du machen würdest, wenn wir nicht da wären!“ Das ist leichter gesagt als getan. Besonders, wenn sich in der kleinen Küche fünf Leute mit Kamera und Tonangel drängeln. Das echte Leben einer alleinerziehenden Hartz-4-Empfängerin, wie könnte das aussehen? Die renommierte Regisseurin Charlotte hat keine Ahnung, will trotzdem genau darüber einen Dokumentarfilm machen. Da hat die Schauspielerin Gloria, die sich mehr schlecht als recht mit Off-Theater-Auftritten über Wasser hält, schon ein genaueres Bild vor Augen. Als die beiden beim „Casting“ (sic!) für den Dokumentarfilm aufeinandertreffen, ist die Regisseurin hingerissen: Diese Kamerapräsenz! Und dann noch Glorias haarsträubende „Lebensgeschichte“ voller Delinquenz, Delirium und Disposchulden. Das ist der Stoff, aus dem die Realität gemacht wird, soviel ist sicher! Daß Gloria mit ihrem „Auftritt“ nur ihr schauspielerisches Talent erprobt, ist der rote Faden, der diese Screwball-Comedy (ein rares Genre im deutschen Sprachraum) wunderbar leicht und durch knapp 80 Minuten trägt.

Es kommt, wie es kommen muß. Nach und nach kriegt das ach so authentische Bild des traurigen Lebens der Gloria S. Risse, die auch durch das höchst engagierte Eingreifen der Kollegen aus der Off-Theatergruppe nicht gekittet werden können. Wenn mitten im emotionalen Gespräch plötzlich „Ruhe“ für die Aufnahme einer authentischen „Atmo“ verlangt wird, oder der Belichtungsmesser vor verheulte Gesichter geschoben wird, um nur ja nicht die Aufnahme zu vergeigen, dann wird mehr als deutlich, wie problematisch die Idee einer authentischen Abbildung der Realität ist. Gloria und Charlotte sind in einer hoffnungslosen Beziehung gefangen: Gloria braucht diesen Film, und Charlotte braucht eine traurige Heldin. Also wird gedreht, bis der Schwindel auffliegt … und darüber hinaus.

DAS TRAURIGE LEBEN DER GLORIA S. ist eine wunderbar alberne Satire auf nach Authentizität versessene Dokumentarformate und gleichzeitig eine intelligente Beschreibung des schmalen Grats, der die vermeintlich erfolgreichen Mitglieder der Gesellschaft vom Rest trennt – oder eben nicht. Die Regisseurinnen Ute Schall und Christine Groß haben ausreichend Erfahrungen mit der Frauen-Filmgruppe hangover ltd.* und der Berliner Volksbühne gemacht, so daß anzunehmen ist, daß sie wissen, wovon sie reden.

D 2011, 75 min
FSK 12
Verleih: Salzgeber

Genre: Satire

Darsteller: Christine Groß, Nina Kronjäger

Regie: Ute Schall, Christine Groß

Kinostart: 01.03.12

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.