Originaltitel: THE PERSONAL HISTORY OF DAVID COPPERFIELD

GB/USA 2019, 119 min
FSK 6
Verleih: EntertainmentOne

Genre: Literaturverfilmung, Tragikomödie

Darsteller: Dev Patel, Tilda Swinton, Hugh Laurie, Ben Whishaw

Regie: Armando Iannucci

Kinostart: 24.09.20

2 Bewertungen

David Copperfield

Neustart nach farbenblinder Renovierung

Die Farbenblindheit beim Besetzen war wohl nur milde politisch motiviert, Regisseur Armando Iannucci ging’s hauptsächlich drum, ein möglichst tragfähiges Ensemble zu casten, zu diesem gehörte eben – angeblich bar einer je in Betracht gezogenen Alternative – beispielsweise Dev Patel als Dickens’ Held David Copperfield. Und trotzdem behält der entspannte Hautfarbenmix aktuell echte Tragweite und gehört daher explizit erwähnt, obgleich er Normalität sein könnte.

Aber auch sonst herrscht allerorts Neuinterpretationsstimmung, kaum eine Spur bleibt von typischem Klassikerverfilmungsbühnenklapp, verbalem Krönchengriff, deklamierender Theatralik vor bierernst raschelndem Kostümpomp. Was nicht heißen will, daß billige Optik aufs darob tränende Auge treffen würde, ganz gegenteilig dreht Iannucci auf einer wahren Spielfläche wunderschönster Ausstattung frei, achtet dennoch darauf, die Phantasie nie mit kleinteiligem Krimskrams zuzuwerfen, die Magie persönlicher Imagination bekommt angemessenen Freiraum zur Entfaltung, blüht buchstäblich in leuchtenden Farben.

Und denkt der geneigte Leser sich nun am Bild einer von bunter Flora bewachsenen Wiese entlang, seien fröhlich tobende Darsteller hinzugefügt: der bereits erwähnte Patel, sehr engagiert mimend. Tilda Swintons grenzhysterisch gefährliches Getier, konkret invasorische Esel, befehdende Tante Betsey. Hugh „Drachenzeit!“ Laurie als Mr. Dick, dessen Geist unter negativem Einfluß des enthaupteten Königs Karl I. steht. Ben Whishaw, der Uriah Heep derart schleimig anlegt, es ist pure Wonne. Dazu perfekte Nebendarsteller, hervorzuheben TV-Aktrice Daisy May Cooper im ersten Kinoauftritt, deren Peggotty den großen Kollegen Szenen stiehlt.

Puristen dürften sich da wegen inakzeptabler Tollheit über zwei schmerzliche Stunden hinweg winden, Dickens selbst hätte vermutlich einige Freude an Iannuccis so forscher wie souveräner Von-hinten-Näherung an eine seiner Vorlagen. Geringfügige Temposünden mag man mittenmang zwar eruieren, 64 Romankapitel in 119 Minuten komprimiert müssen zu gewisser Hektik führen, während sich andererseits manchmal Handlungshängern geschuldete Länge einschleicht. Nichtsdestotrotz gelingt es Iannucci, wertvolles literarisches Silber auf insgesamt gut getimten zeitgemäßen Glanz zu polieren – ohne auf rüpelhaftem Regietheatertrip zwanghaft die eigene Vision durchzudrücken.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...