D 2017, 105 min
FSK 0
Verleih: REM

Genre: Dokumentation, Musik

Regie: Romuald Karmakar

Kinostart: 11.05.17

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Denk ich an Deutschland in der Nacht

Verbeugen, ohne zu erstarren

Im Raum stehen Türme. Kabel werden zu Kabelsträngen, Computer zu Modulen, es blinkt. Bildschirme leuchten, auf Tischen stehen Pulte mit Drehknöpfen, Schiebereglern und Tastaturen. Ricardo Villalobos sitzt genüßlich auf seinem Stuhl, hat eine Langspielplatte aus den 70ern aufgelegt und ist fasziniert. Nicht die Kamera erforscht sein Studio, es sind die Augen des Betrachters. Knapp drei Minuten dauert diese Eingangssequenz von DENK ICH AN DEUTSCHLAND IN DER NACHT. Sie verrät viel über den gesamten Film.

Es scheint zunächst, als hätte sich Regisseur Romuald Karmakar in ein Segment der Populärkultur eingeschlichen, die gern als hermetisch abgeschottet gilt. DJs kommen aus ihren eigenen Welten in die Wochenendclubs, legen auf, basteln auf Frequenzen, lassen Menschen tanzen – und verschwinden wieder in der Anonymität. Sie dürfen es. Nicht sie werden nach ihrer Meinung zum Roden der Wälder im Amazonas gefragt, sondern Peter Maffay.

Romuald Karmakar hat andere Fragen. Seit 2002 sind von ihm schon drei Dokus über House, Techno, deren Protagonisten und Rezeptionen entstanden. Sie liefen eher defensiv in ausgewählten Kinos. DENK ICH AN DEUTSCHLAND IN DER NACHT ist jetzt das etwas breiter angelegte Porträt einer Szene und wird deshalb offensiver an ein potentiell interessiertes Publikum gebracht. Mit dem Wissen, daß nicht unbedingt die „Nutzer“, sondern schlicht Cineasten in die Spielstätten kommen werden. Angemessen! Ist ja kein Kletterfilm, wo die Zuschauer ihre Seile und Karabiner noch im Rucksack haben. Oder schon wieder.

Diese stehenden Bilder! Der wirklich begnadete (Tom-Tykwer-)Kameramann Frank Griebe nimmt direkt die Geometrie von Räumen und Landschaften auf, verfällt nie der Versuchung „mitzupluckern.“ Auch dann nicht, wenn es auf den Dancefloor geht, und der Filmsound über Kniffe erklingt. Karmakar will in die Tiefe, nicht nur flüchtige Energie erhaschen. Dafür läßt er fünf Koryphäen – neben Ricardo Villalobos noch David Moufang/Move D, Ata, Roman Flügel und Sonja Moonear – sprechen, reflektieren, erklären, sinnieren, schwärmen, rätseln. Das ist witzig, einleuchtend, klug und manchmal herrlich küchenphilosophisch.

DENK ICH AN DEUTSCHLAND IN DER NACHT ist eine feinsinnige Verbeugung, die in keiner Minute erstarrt. Hochgradig unterhaltsam selbst für die, die nachts in Deutschland eher schlafen als denken. Oder raven.

[ Andreas Körner ]