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Der Schnee am Kilimandscharo

Eine Geschichte aus Marseille

Es ist eine hohe und mittlerweile recht selten gewordene Kunst, Spielfilme mit dezidiert politischen Botschaften zu machen, die sich der Komplexität des Themas stellen und dabei weder die erzählerische noch die visuelle Seite vernachlässigen. Der Franzose Robert Guédiguian dreht seit über 30 Jahren Filme, die meisten in seiner Heimatstadt Marseille, in denen stets das Politische auf die eine oder andere Art mit dem Persönlichen einhergeht. Und zwar aus einer explizit linken Perspektive ohne ideologischen Holzhammer. Das verbindet ihn mit hierzulande bekannteren Kollegen wie Ken Loach, Aki Kaurismäki oder auch Nanni Moretti.

Sein neuer Film DER SCHNEE AM KILIMANDSCHARO – der Titel bezieht sich nicht auf die Kurzgeschichte von Hemingway, sondern auf ein Chanson von Pascal Danel – handelt vom Ehepaar Marie-Claire und Michel, beide um die 50, die ihren Lebensunterhalt mit harter Arbeit verdienen: er als Werftarbeiter, sie als Altenpflegerin. Sie haben es zu bescheidendem Wohlstand gebracht: Häuschen im pittoresken Viertel L’Estaque von Marseille, Mittelklassewagen, Kinder und Enkelkinder leben in der Nähe, am Wochenende geht man an den Strand. Zwar verliert Michel seine Arbeit, doch er arrangiert sich halbwegs mit dem Leben als aktiver Rentner. Ihre geordnete Welt gerät aus den Fugen, als sie ein ehemaliger Arbeitskollege von Michel überfällt und ihnen die Ersparnisse raubt. Zwar wird er gefaßt, doch bald erkennen die Überfallenen, daß hier jemand aus einer Notlage heraus gehandelt hat.

Guédiguian macht es seinen Protagonisten nicht leicht, und das ist der große Gewinn des Films. Michel und Marie-Claire sehen sich in der Tradition des stolzen Proletariats, das für seine Rechte gekämpft hat. Der Überfall demütigt und verunsichert sie. Die Eheleute müssen erkennen, daß die Globalisierung auch die alten Gewißheiten der Linken hinweg fegt. Stehen sie noch immer auf der Seite der Guten? Der Regisseur verhandelt diese Fragen mit einer großen filmischen Leichtigkeit. Aufgenommen im warmen Licht des Südens ist DER SCHNEE AM KILIMANDSCHARO seiner ernsten Thematik zum Trotz ein heiterer Film.

Manche mögen Guédiguian vorwerfen, er zeichne ein idealisiertes Menschenbild. Doch schließlich ist es ein Privileg des Kinos, den Geschichten des Lebens ein gutes Ende zu geben.

Originaltitel: LES NEIGES DU KILIMANDSCHARO

F 2011, 107 min
FSK 12
Verleih: Arsenal

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Ariane Ascaride, Gérard Meylan, Jean-Pierre Darroussin

Regie: Robert Guédiguian

Kinostart: 22.03.12

[ Dörthe Gromes ]