1 Bewertung

Der Tag wird kommen

Anarchisch gegen die aufgeschwemmte Gesellschaft

Was für eine schrecklich nette Familie! Papa hat, umzingelt vom protzigen Einkaufszentrum, ein Kartoffelrestaurant am Laufen. Mama schält derart rasant die Erdäpfel, daß man messerscharf kombiniert: Falls alles klappt, kriegt der Gast vielleicht schon morgen was zwischen die Zähne. Sprößling Benoît nennt sich „Not“, lebt als Punk, und schallt ein kräftiger Rülpser aus dem Rachen, wird’s für ihn ein zufriedenstellender Tag. Bruder Jean-Pierre hingegen vertickt Betten, wobei das Geschäft nun nicht gerade brummt. Letzterer Umstand führt schließlich zur Entlassung sowie Jean-Pierres Mutation gen „Dead“. Der findige Zuschauer rechnet jetzt 1 +1, was „Not Dead“ ergibt. Und wirklich – unter jenem Namen kennt man zukünftig das Anarcho-Duo, welches sich aufmacht, den kapitalistisch pervertierten Normalbürgern Angst und Schrecken zu bereiten!

Okay, die Idee stimmt also, außerdem trägt man LOUISE HIRES A CONTRACT KILLER vom identischen Regieteam noch in positiver Erinnerung. Reicht aber beides bloß bedingt. Klar, manche Szene gefällt rundum, primär erwacht der Spaß immer dann, wenn Mutti, gemimt von Multitalent Brigitte Fontaine, auftaucht. Nur der Rest ... Irgendwann geht es auf den Senkel, das ständige Grölen, Ausrasten und Absondern von Körperflüssigkeiten, woran selbst Gérard Depardieus selbstironischer Cameo nix ändert.Kopfkratzt da jetzt wirklich Wohlstands-Fettgefressenheit, welche künstlerisch getarntem Nihilismus recht ratlos begegnet? Die Identifikationsprobleme angesichts zweier unablässig „Anti, anti, anti!“ brüllender, gleichzeitig jedoch indirekt allerhand Vorzüge des so strikt verachteten Gesellschaftssystems einfordernder Typen zeigt? Ist dünnes Schon-gut-der-Kleine-weiß-es-nicht-besser-Lächeln in Richtung solcher Menschen angesagt, denen sich zwar der grundlegend schlummernde Wahrheitsgehalt des Gesehenen nicht ver-, sondern erschließt, die aber dennoch etwas weniger Hau-immer-schön-feste-drauf-Mentalität bevorzugt hätten?

Kurz: Sollte das rote Spießer-S tragen, wer sich hier statt Holzhammer plus schauspielerischer Totalentfesselung einen Hauch hintergründigen Witzes sowie vielleicht sogar vermessen einen Drehbuch-Anflug wünscht? Lichterloh brennende Fragen am laufenden Meter. Leser und Kinogänger, die durch Antworten Hilfestellung geben möchten, seien herzlich dazu eingeladen – nach Sichtung und privater Meinungsbildung.

Originaltitel: LE GRAND SOIR

F 2012, 96 min
FSK 12
Verleih: Alamode

Genre: Satire, Schräg

Darsteller: Benoît Poelvoorde, Albert Dupontel, Brigitte Fontaine, Areski Belkacem, Bouli Lanners

Regie: Benoît Delépine, Gustave Kervern

Kinostart: 02.05.13

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...