Originaltitel: BOY ERASED

USA 2018, 115 min
FSK 12
Verleih: Universal

Genre: Drama, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Lucas Hedges, Nicole Kidman, Russell Crowe, Joel Edgerton, Xavier Dolan

Regie: Joel Edgerton

Kinostart: 21.02.19

8 Bewertungen

Der verlorene Sohn

Lebenssehnsucht und Mutterliebe

Daß Menschen Kraft im Glauben finden, Trost auch und Lebensführung, ist doch in Ordnung. Daß diese Menschen, die sich an einen Gott halten, gedrucktes Wort als die für sie einzig geltende Wahrheit erachten, auch das ist okay. Wenn genau diese an Schöpfung in ihrer Vielfalt Glaubenden dann aber über Andere richten wollen, die Lebenswege von Andersdenkenden und Andersfühlenden nach Gutdünken biegen und verzerren, dann ist das nicht mehr in Ordnung. Auch nicht, wenn es der eigene Vater ist, der einen auf den „rechten“, auf seinen oder meinethalben Gottes Weg lenken will. Eigentlich gerade nicht, wenn es der eigene Vater ist.

Das ist die Ausgangssituation in diesem kraftvollen, zutiefst berührenden Film von Joel Edgerton: Jareds strenggläubiger Vater erfährt vom Schwulsein seines 19jährigen Sohnes, doch anstatt ihm in gebührender Weise Zuversicht, Verständnis und weiterhin Liebe anzutragen, drängt er ihn in eine zwölf Tage andauernde Konversionstherapie, die aus „Kranken“ gesunde, eben „normale“, Menschen machen soll. Wobei es an der Liebe des Vaters eigentlich nicht mangelt, er tut all dies mit reinem Gewissen und in bester Absicht, aber eben doch ohne echte Lebenssicht, ohne Blick auf das, was seinen Sohn noch immer ausmacht. Die alten Videos von früher zeigen den kleinen Jared im Schlafanzug – und plötzlich soll das nicht mehr derselbe Junge sein? Das Programm der „Therapie“ ist martialisch, jedes Wort zu Außenstehenden soll vermieden werden, „männliche“ Posen, Liegestütze und wie man die Hand zu halten hat, werden trainiert, wer nicht spurt, wird vor anderen denunziert, in den Abgrund getrieben. Es gilt: kein Handy, keine Berührungen, Alkohol und Drogen sowieso nicht. Es soll eine „wundervolle Reise“ werden, denn der im Befehlston agierende Gruppenleiter weiß ja ganz genau, daß man nicht schwul geboren wird ...

Es tut regelrecht weh, diese gesunden jungen Menschen zu sehen, die nichts anderes „verbrochen“ haben, als anders zu lieben. Wie ihnen Unrecht getan wird, wie sie gezwungen werden, so etwas Tolles wie Hingabe und Empfindungen für Andere zu negieren, wie man sie zu Lügnern macht, und wie sie an Eltern fast zerbrechen, die sich wünschen, ihr Kind wäre nie geboren. Überhaupt all diese Bigotterie, noch dazu in einem Bundesstaat, der sich „Arkansas – Land Of Opportunity“ lobt. Lucas Hedges als Jared spielt das brillant, diese Zerrissenheit zwischen der Liebe zu seinen Eltern und dieser kämpferischen Sehnsucht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

DER VERLORENE SOHN erzählt von einer unfaßbaren Tortur, die wohl auch für den Zuschauer kaum aushaltbar wäre, wenn es nicht neben Jared weitere Kämpfer und eben diese Mutterfigur gäbe, die von Nicole Kidman mit einigem Mut zu ungewöhnlichem Kopfputz gegeben wird. Jareds Mum, auch sie strenggläubig, trägt ein fühlendes Herz in der Brust, oder wie es aus dem Munde der großartig spielenden Kidman klingt: „Eine Mutter spürt, wenn etwas falsch ist!“ Und so wird aus dem Werk über unfaßbare Qual auch ein großer, nur in wenigen Momenten überdeutlicher Film über Liebe und Befreiung. Edgerton vermeidet die üblichen Ausschmückungen, er geht behutsam mit dem Stoff des Lebens um, erzählt er doch eine wahre Geschichte. Ganz gewiß eine von vielen, viel zu vielen, denn was wie Science-Fiction oder aus dem Zeitalter des Exorzismus’ klingt, ist noch heute betriebene Praxis in knapp 40 Bundesstaaten der USA!

DER VERLORENE SOHN ist auch ein wichtiger Film, ohne daß er sich wichtig macht. Er trägt einfach aus sich selbst heraus dazu bei, daß sich kein schwul-lesbischer oder transsexueller Teen mehr so fühlen muß, als hätten Gott und Teufel Wetten auf ihn abgeschlossen.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.