D 2019, 125 min
FSK 12
Verleih: Wild Bunch

Genre: Drama, Literaturverfilmung

Darsteller: Ulrich Noethen, Tobias Moretti, Levi Eisenblätter, Johanna Wokalek, Sonja Richter, Maria Dragus, Louis Hofmann

Regie: Christian Schwochow

Kinostart: 03.10.19

7 Bewertungen

Deutschstunde

Krieg und (trügerischer) Frieden

Im Grunde ist es nur ein staubtrockener Satz mit logistischem Hintergrund: Eine Filmproduktionsfirma und ein Buchverlag einigen sich vor dem Dreh darauf, die Fernsehrechte in Kinorechte umzuwandeln. Die Dimension dahinter wird in DEUTSCHSTUNDE auf markante Weise deutlich, denn es ist schlicht nicht vorstellbar, hätte man diesem großen Stoff die große Leinwand versagt.

Und? Ist der Film von Christian Schwochow genauso gut wie der 68er-Roman von Siegfried Lenz? Kommt er an ihn heran? Da sind sie schon wieder, diese eigenartigen Äpfel-Birnen-Fragen. Sie werden mit kaum nachlassender Intensität gestellt, und die Antwort lautet ein nächstes Mal sehr lapidar: Nein, er ist anders! Muß er sein! Menschen in Landschaften. Männer, Frauen und Kinder weit oben im deutschen Norden, wo der Himmel eine eigene Sprache spricht, sich an Wind und Wasser reibt und so sanft wie grollend ein besonderes Licht-Spiel offeriert. Wo Äcker bis an die Dünen reichen und Häuser respektvoll Abstand halten. Krieg und Frieden liegen in der Natur des Nordens, also eng beieinander. In DEUTSCHSTUNDE wird sie exemplarisch.

Als der jugendliche Siggi Jepsen in der Strafanstalt einen Aufsatz zum Thema „Die Freuden der Pflicht“ schreiben soll, ist der Frieden nach dem Krieg gerade eingezogen. Doch das Papier bleibt weiß, es blockt in Siggi. Bis er die Worte nicht mehr halten kann. Verdrängtes, Unverarbeitetes und mühsam Ertragenes kommen in ihm hoch. Siggi erbricht die Erinnerung in Buchstaben, geht Jahre zurück in seine Kindheit und hakt sich fest, als er 11 war. Der Film nimmt seine Perspektive ein, dreht sich mit Siggi, schwelgt und ringt, leidet und trotzt.

Jens Ole Jepsen ist als uniformierter Polizist ein vorzüglicher Staatsdiener. Wenn die Pflicht ruft, hat er offene Ohren. Aus seinen Kindern Klaas, Hilke und Siggi will er „etwas Brauchbares“ machen, das Regime daheim ist streng und ritualisiert. Siggi atmet nur noch kurze Zeit am unbeschwerten Glück des Kleinsten, während seine Geschwister schon fort sind: Hilke an einem nicht beschriebenen Ort hinterm Watt, Klaas an der Front. Doch auch im Dorf gibt es jetzt eine Front. Siggis Vater erhält „von oben“ den Befehl, die „entarteten“ Bilder seines Malerfreundes Max Ludwig Jansen zu konfiszieren und ihm Arbeitsverbot zu erteilen. Privat ist vorbei. Hier endet die Männerfreundschaft, ein Dilemma immensen Ausmaßes beginnt. So als dränge die Flut in die Seelen der Menschen, wird ihnen die Luft knapp. Es ist keineswegs ein Kampf nur unter Erwachsenen. Siggi soll sich zwischen dem leiblichen Vater und dem Patenonkel entscheiden, die ihn beide benutzen wollen. Und benutzen.

DEUTSCHSTUNDE ist ein Drama wie aus einem Guß. Vom präzisen Drehbuch, das Lenz begreift, verdichtet und um essentielle Symbole bereichert, über Dramaturgie, Kamera, Tonspur hin zum – im besten Sinne – geschlossenen Darstellerensemble nimmt es die direkte Linie zu Michael Hanekes DAS WEISSE BAND auf, der von Einzelnen erzählte, um bei gesellschaftlichen Zuständen zu landen, die in einen Weltkrieg, dem Ersten, münden sollten. Hier läuft längst der nächste Krieg und mündet in einem trügerischen Frieden. Beide Filme, die im Kanon des deutschsprachigen Kinos eine exponierte Position einnehmen werden, tragen universelle, auf fatale Weise zeitlose Elemente in sich. Dafür, diese Ebene über die tatsächliche Lauflänge hinaus wachzuhalten, brauchte es Meisterschaft.

[ Andreas Körner ]