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Die Blumen von gestern

… wollen einfach nicht welken

Wer Totila Blumen heißt, braucht für Witze über Pflanzen und Wurzeln nicht zu sorgen. Und Humor kann der Holocaustforscher Toto gar nicht vertragen. Der nicht mehr ganz junge Wissenschaftler hat sich den Opfern des NS-Regimes so unbedingt verschrieben, daß ihn die Schamlosigkeit des neuernannten Instituts-chefs, der den geplanten Auschwitz-Kongreß tatsächlich von einem deutschen Unternehmen mit bedenklich langer Geschichte finanzieren lassen will, zum Äußersten treibt. Als Toto auch noch zur Betreuung der plappernden französischen Praktikantin Zazie abgestellt wird, ist das Maß voll. Zack, kriegt der Vorgesetzte eins auf die Fresse – mit kostspieligen Folgen für dessen Zahnersatzversicherung.

„Auf die Fresse“ könnte denn auch der gar nicht so heimliche Schlachtruf dieses mittlerweile vierten Films von Chris Kraus sein. Wie verschieden die sich in Stil und Tonlage gaben – dramatisch zermürbend wie in der Familienaufstellung SCHERBENTANZ oder historisch vorahnungsvoll wie in POLL –, sie kamen nahezu zwanghaft in der deutschen Vergangenheit heraus. In diesem Fall verstellt kein erzählerischer Umweg den Blick auf Kraus’ großes Thema: die Abarbeitung an der Aufarbeitung, hier als Fast-Parodie auf ihre professionalisierte Form. Daß er dafür tief in die Slapstick-Kiste greift, ist für ihn neu. Und es bleibt trotz aller diesbezüglicher Anstrengungen seltsam befremdlich.

Es gibt einen Mordanschlag auf einen Hund. Es gibt eine renitente Holocaustüberlebende, die sich vom deutschen Experten über die Tragweite ihres Schicksals belehren lassen muß. Es gibt das stilistisch unwuchtige Zusammentreffen von Elementarschauspieler Lars Eidinger und Jan Josef Liefers, für den das richtige Wort noch zu finden ist. Es gibt verbale Ausfälle, verkniffene Betroffenheitsdiskussionen und glücklose Erotik – in Totos Ehe sowieso, mit Zazie dann schließlich auch. Denn mögen die zwei einander auch herzlich abgetan sein: Der Täternachfahre und die Opferenkelin kommen aneinander nicht vorbei.

Kraus selbst attestierte seinem mutwilligen, nicht immer plausibel vorgetragenen Angriff auf die Neurosen, Eitelkeiten und Selbstgerechtigkeiten des Bewältigungsbetriebs eine gewisse Leichtigkeit. Aha. Wo genau die sich zwischen all diesen Versehrten, die an sich und aneinander leiden, verbirgt, ist allerdings schwer zu sagen. Aber wir geben uns Mühe!

D/Österreich 2016, 125 min
FSK 12
Verleih: Piffl

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Lars Eidinger, Adèle Haenel, Jan Josef Liefers, Sigrid Marquardt, Rolf Hoppe

Stab:
Regie: Chris Kraus
Drehbuch: Chris Kraus

Kinostart: 12.01.17

[ Sylvia Görke ]