D/Österreich 2016, 115 min
FSK 12
Verleih: Universum

Genre: Drama, Schwul-Lesbisch, Literaturverfilmung

Darsteller: Louis Hofmann, Jannik Schümann, Sabine Timoteo, Inka Friedrich, Nina Proll

Regie: Jakob M. Erwa

Kinostart: 10.11.16

17 Bewertungen

Die Mitte der Welt

Ein Sommersturm und das Erwachen

Nein, man muß nicht zu den jung gebliebenen Mädchen oder zu den nur ein klitzeklein wenig älter gewordenen schwulen Jungs gehören, die sich vor knapp 20 Jahren von Andreas Steinhöfels Buch einnehmen, ach was, verzaubern ließen, die beim Erzählen darüber silbrig-feuchte Augen bekamen ob der Verträumtheit, Märchenhaftigkeit, ach was, der Komplettgültigkeit jener Geschichte um den jungen Phil, die in „Die Mitte der Welt“ erzählt wurde. Steinhöfels Buch verkaufte sich prächtig, gleiche Resonanz ist nun der Verfilmung von Jakob M. Erwa zu wünschen, der es gelingt, emanzipiert von der Bestsellerwucht eine anrührende, frische und perfekt besetzte Geschichte über das Erwachsenwerden zu erzählen.

Die Hauptfigur, der 17jährige Phil, kündigt sich selbst mit eroberndem Charme an: „Normales Landei, Standardausstattung, gut, ein bißchen schwuler als Standard vielleicht ...“ Und schon jetzt muß man über Louis Hofmann schreiben, vielleicht der Nachwuchsschauspieler der Stunde! Bestechend, welch’ unglaubliche Präsenz der Mime auf der Leinwand hat, wie er im Spiel sich aus einer gewissen Unscheinbarkeit herausschält, herzpochend, wie der Kerl einem die ganze Zerrissenheit der Jugend, dieses Blöde am Verliebtsein und das Herrliche am Schweben aufzeigt. Es ist einfach toll, wie es Hofmann gelingt, dieses Stottern, dieses Zwinkern, dieses doch Wollende und trotzdem Unsichere glaubwürdig darzustellen, als es um seinen Phil geschieht, weil mit Nicholas so eine Silberblickschönheit in die Klasse kommt, bei der automatisch alle Ratio flötengeht.

Dabei hätte man den Jungen warnen müssen: Trau keinem o-beinigen Strickmützenträger! Sind so Erfahrungen, aber Phil wird seine machen. Die, daß man auch den an sich unverrückbaren Bund zur besten Freundin hinterfragen muß, gehört dazu, daß man dranbleiben soll, um blinde Flecke, wie den vom fehlenden Vater, sichtbar zu machen, ebenso, und daß ein Sommersturm eine ganze Familie, auch eine so zusammengeschweißte und wild zusammengeflickte wie die Phils, in ihrer Verwurzelung prüfen kann und manch’ giftiges Geheimnis aus der Vergangenheit freibläst ...

DIE MITTE DER WELT erzählt gottlob kein x-tes Coming Out, Phil wächst in einer chaotischen, eigenwilligen, aber doch sehr offenen Familie auf, der Film konzentriert sich vielmehr mit den intendierten Stilmitteln des Naiven auf das, was es bedeutet, sich wie irre zu verlieben und dann mit Enttäuschungen klarzukommen, gar an ihnen zu wachsen. Jakob M. Erwa versteht wirklich was von modernem Kino, daß manch’ musikalische und Zeitrafferzutat sowie Blicke an das noch jeglichen Mief von filmischen Entwicklungsromanen wegblasende Wegbereiterkino eines Xavier Dolan (zum Beispiel dessen HERZENSBRECHER!) erinnern, ist doch legitim und paßt zu wunderbar kindischen Einsprengseln wie Liebesperlenbärten und Shoppingorgien in Federboa.

Es ist wohltuend, wie beiläufig, wie lässig, wie sympathisch und auch wie lustvoll Erwa von einer schwulen Liebe erzählt, ohne die üblichen Griffe in den Problembaukasten. Allein, wie er den Sex zwischen Phil und Nicholas zeigt: leidenschaftlich, sinnlich, niemals klemmig oder ordinär, wie es das deutsche „Teenkino“ an sich zu gerne tut.

DIE MITTE DER WELT besticht durch perfektes Lot: Zum einen wird eine komplett einnehmende Geschichte von Jungsein, Verliebtheit, Lust und Freundschaft erzählt, zum anderen eine von Verrat, Feigheit, brüchigen Ewigkeitsschwüren und diesem doch echt bekloppten Spiel mit Hintertürchen.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.