Originaltitel: AH-GA-SSI

Südkorea 2016, 145 min
FSK 16
Verleih: Koch Films

Genre: Thriller, Erotik, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Kim Min-hee, Kim Tae-ri, Ha Jung-woo

Stab:
Regie: Park Chan-wook
Drehbuch: Park Chan-wook

Kinostart: 05.01.17

9 Bewertungen

Die Taschendiebin

Intrigenspiele mit freizügigem Überbau – das hat Stil!

Manche Menschen beglückt das absolute Gehör, Park Chan-wook wohl der perfekte Blick, ausgehend davon, daß er selbst in seinen inhaltlich schwächeren (DURST) oder fast kruden (STOKER) Filmen wahre Bildersinfonien komponierte, welche man eben mit den Augen hörte. Versteckt brodelt da immer was Opernhaftes, eine sorgfältig verflochtene Künstlichkeit, in ihrer zwar gezügelten, doch sichtlich auf Ausbruch sinnenden Maßlosigkeit das cineastische Äquivalent zum doppelten Dekolleté-Griff einer brachialgewaltig an die Rampe drängenden Sopranistin.

Wenn sich der Plot adäquat überhöht zeigt, kann ja gar nichts mehr schiefgehen – und so kommt nun hier DIE TASCHENDIEBIN. Sie heißt Sookee und arbeitet im japanisch besetzten Korea der 30er Jahre seit kurzem als Dienstmädchen für Lady Hideko. Jene lebt auf einem prunkvollen Anwesen im (katzen-)goldenen Käfig eines nach pornographischen Schriften süchtigen Onkels und neigt – wie scheinbar viele Frauen der Familie – zu tödlicher Melancholie. Der vorab geschmiedete Masterplan ist heimtückisch: Sookee soll Hidekos Zuneigung für den vermeintlichen Grafen Fujiwara entfachen, nach der Hochzeit wird die Dame dann ins Irrenhaus abgeschoben und das gewonnene Vermögen geteilt. Daß zwischen den beiden Frauen über die gemeinsame Zeit allerdings Leidenschaft wächst, verkompliziert die Sache entscheidend …

Davon erzählt Park in drei Kapiteln, verläßt nach geradlinigem Beginn per gedanklichem Seitschritt befestigte Wege und nutzt unbekannte Trampelpfade ins Dickicht, während die Figuren an Komplexität gewinnen. Lady Hideko beispielsweise scheint anfangs lediglich unter Aufbietung aller Kraft bis drei zählen zu können, dennoch bereitet es ihr geradezu dominante Freude, das Entlein Sookee zum Schwan aufzurüschen. Diese wiederum, die nominell eiskalte Kriminelle, zeigt zunehmend naive Züge. Und hat man das bislang Gesehene richtig interpretiert? Was stand tatsächlich in Sookees Empfehlungsschreiben? Geduld, wir erfahren es, und zwar, nachdem ein unerwarteter Twist Akt 1 beschloß.

Teil 2 mischt sämtliche Karten komplett neu, Park, der Drehbuchautor, weiß schließlich um die Banalität des gesprochenen Wortes, zumindest verglichen damit, was Menschen voreinander zu verheimlichen suchen. Er reist auf Vergangenheitsschienen zurück, entblättert Mißbrauch, Abgründe, Erniedrigung, streift de Sades Schaffen, höhnt irritierend dunklen Humor übers Geschehen. Liebe, Triebe, Hiebe – Grundbausteine der Handlungsmitte, virtuos inszeniert, gegossen in Sexszenen, deren geradezu selbstverständliche Freizügigkeit verblüffen mag, ohne dabei den beteiligten Körpern ihre entdeckenswerten Geheimnisse zu rauben (wie es zum Beispiel BLAU IST EINE WARME FARBE tat). Selbst das Schauen aus einer Vagina heraus hat bei Park nichts Albernes, Dummes oder Anstößiges, er legt ganz simpel den Blick auf ein sich langsam näherndes, flirrendes Begehren in Augen und Ausdruck tragendes Gesicht frei.

Und weil Park noch nie dem Pazifismus zugeneigt war, bietet der finale Part schließlich einige recht häßliche Gewaltspitzen. Der Mann folgt seiner Linie eben treulich, zwar nicht unbedingt überraschend, sofern es die Pointe und letztliche Aufdröselung der Verwirrungen angeht, jedoch meisterlich stilvoll und episch leicht, inszeniert als eine Art Puppentheater mit realen Darstellern. Was bleibt: der unbedingte Tip, selbst herauszufinden, wen nach den vorherigen kleinen Toden am Ende der wahre große Tod ereilt …

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...