D/Österreich 2011, 108 min
FSK 12
Verleih: StudioCanal

Genre: Literaturverfilmung, Drama

Darsteller: Martina Gedeck

Regie: Julian Roman Pölsler

Kinostart: 11.10.12

20 Bewertungen

Die Wand

Brillant besetzter Ausflug in die Seelenwelt einer Schiffbrüchigen

Unverfilmbar ... Das muffelt doch immer nach zu früher Kapitulation. Entweder ist es der materielle Aufwand, der die filmische Umsetzung von Literatur so lange auf Eis legt, bis die Rechner leistungsstärker sind oder ein indischer Neureicher doch das Portemonnaie öffnet, oder es ist die Scheu vor der metaphorischen Last, die ein gutes Buch bisweilen innehat. Julian Roman Pölsler hat nun das einzig Richtige getan, als er sich an die Verfilmung des düster-kraftvollen, sprachlich weit aus der deutschen Literatur der 60er Jahre herausragenden Werkes „Die Wand“ von Marlen Haushofer wagte: Er blieb am Buch. Pölsler arbeitete linear und mit Originaltext, sparte filmerzählerisch effizient Wiederholungen aus, kürzte das Private, tauschte Farben, verdichtete die selbstreflexiven Betrachtungen und goß somit ein formidables Stück Literatur zu einem geradewegs hinreißenden Kinowerk. Ein ideal besetztes ohnehin, dazu später.

Die Prämisse ist so schlicht wie enigmatisch: Eine Frau, die als Erzählerin fungiert, fährt mit Cousine und deren Mann in die Berge. Die Frau bleibt in der Jagdhütte, während die zwei noch einmal ins Dorf spazieren. Nur Luchs, der treue Hund, bleibt am Haus. Als die beiden am nächsten Morgen noch immer nicht zurückkehren, sorgt sich die Frau, der Hund jault, sie machen sich auf den Weg. Weit werden sie nicht kommen, weil sich der Hund die Schnauze blutig schlägt, die Frau kräftig die Stirn stößt – an einer unsichtbaren Wand. Mitten im Weg, durch eine komplette Landschaft. Ein weiterer Versuch, nervöses Herantasten, neuerliches Stoßen. Die Wand ist da, sie bleibt da. Auch der Versuch, vom Jagdhaus in eine andere Richtung aufzubrechen, endet mit dem gleichen Ergebnis. Das Schlagen dagegen, das Klopfen, das Rufen bleiben erfolglos – alles scheint tot hinter der Wand.

Natürlich kann die nun folgende Erzählung vom Überlebenskampf einer Frau als Manifest einer großen Depression gelesen werden. Oder als Aussteigergeschichte – ohne romantischen Putz. Wie man mag. Und diese Vielzahl von Lesarten deutet schon auf die philosophische Wucht von Buch und Film hin. DIE WAND ist eine Reise in die Seelenwelt einer Vereinsamenden, einer Schiffbrüchigen, einer Frau, die wie durch Glas in den Hades schaut, der die Angst vor den langen, dämmrigen Nachmittagen in die Glieder fährt, eine Angst, die sie auch erstarken läßt, denn es gilt: einfach den Tag durchstehen. Daraus werden Jahre, davon erzählt der Bericht, den der Solitär verfaßt. In enger Schrift passieren die Jahreszeiten, die fruchtbaren Frühjahre, die heißen Sommer, die launigen Herbste, die strengen Winter. Monate und Jahre des Kampfes, des Erlernens von Fähigkeiten in Viehzucht, Jagd und Ackerbau. Und natürlich gibt es Todesängste, doch die Frau gestattet sich kaum Selbstmitleid ob ihrer verzweifelten Lage, vielmehr vergeht sie fast in Sorge um ihre Tiere: der Hund, die Katzen und eine zugelaufene Kuh.

DIE WAND geht weit über das Klein-Klein individueller Nöte, Ängste und Betulichkeiten hinaus. Es sind die großen, klugen Gedanken über die so lächerlich trügerische Freiheit, die Liebe als einzig wahre und dabei so sinnlos vertane Chance der Menschen, den wachsenden Haß, die blinde Zerstörung der Natur und über diese wage Müdigkeit, diese giftige Sehnsucht nach der langen, schmerzlosen, weißen Stille in diesem auch tontechnisch anspruchsvollen, bildgestalterisch faszinierenden und schauspielerisch grandiosen Kunststück.

Martina Gedeck gibt die Frau uneitel, mit großem physischen Einsatz, ganz ohne Manierismen, dafür mit einem in Mark und Bein fahrenden Spiel der kleinen, wirkungsvollen Gesten – Martina Gedeck, die Unergründliche des deutschen Films, spielt vielleicht die stärkste Rolle ihrer wechselhaften Karriere. Sie leiht dem Film auch ihre kehlige Stimme als Erzählerin. Wenn man ihr zuhört oder immer wieder auf den kurz lächelnden Mund oder in die angsterfüllten Augen schaut, dann weiß man, daß ihre Filmfigur sich vor der Herbstkrankheit wirklich fürchtet.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.