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Die Zeit, die bleibt

François Ozons brillante, stille und jammerfreie Moritat über einen schweigsamen Abschied

Eigentlich ist er ein ziemliches Ekelpaket, dieser Romain. Ein hübsches und erfolgreiches Exemplar zwar, aber dennoch Ekelpaket. Er runzt und zickt in Diven-Manier die Models bei seiner Arbeit als Fotograf an, er macht seinen zarthäutigen Freund runter, er verletzt verbal seine Schwester. Er ist eitel, oberflächlich, ein sehr moderner Mensch. Klick klack, seine Linsen immer nur für Bruchteile eines Momentes offen für die Wirklichkeit, eine gestellte zudem, die für diesen Yuppie exemplarisch ist.

Doch irgendwann schließt sich der Auslöser nicht mehr, dann knallt dem jungen Beau die harte, aussichtslose Realität direkt ins Gesicht. Saurer Wirklichkeitsgranit im Weitwinkel, die Worte kriechen aus dem Mund seines Arztes, im Schleichtempo, das sinnlos Hoffnung vortäuschen soll: Tumor, maligne, ja, auch bereits metastasiert. Heilungschancen schon, aber eben auf sehr dünnen Beinen. Auf so wackligen Beinchen, daß Romain sich gegen eine Chemotherapie entscheidet. Und plötzlich sitzt dieser eben noch ziemlich uninteressante, da zu glatte Typ verletzlich und allein auf einer Parkbank, im Sonnenlicht, und weint. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben, aber nicht zum letzten Mal. Später auch an der Schulter seiner Oma, die ihn vom Rauchen abhalten will. Doch Romain entgegnet, er darf jetzt alles. Auch schweigen, denn die alte Großmutter, gewissermaßen Verbündete im nahen Tode, wird vorerst die einzige sein, die von seinem baldigen Ende erfährt. Die Eltern nicht, die Schwester nicht, auch sein Liebhaber Sasha nicht. Allerdings Jany und Bruno, ein Romain bis eben noch unbekanntes Liebespaar. Denn mit denen schließt er einen Pakt der Unsterblichkeit. Auf Romains letzten Wegen, die er mit immer schmalerem Körper gehen wird, verabschiedet er sich auf seine verschlossene Weise. Auf diesen Wegen trifft er immer wieder auf ein Gesicht, das ihm in den rasanten Jahren fremd geworden war: sein eigenes als kleiner Junge ...

Ozon schließt seinen traurigen Film, wie er ihn beginnt: mit lichtdurchfluteten Bildern von einem Strand an der französischen Bretagne-Küste. Zum Anfang taucht der kleine Lockenkopf Romain auf, zum Ende liegt der kurzgeschorene Moribond regungslos im Sand. Ozon ist nicht nur ein kluger, konzentrierter Erzähler, sondern ein großer Souverän der Bilder. Immer wieder schneidet er dem düsteren Klang seines neben UNTER DEM SAND stärksten Films helle, vielleicht gar die Endlichkeit relativierende Lichtbilder entgegen. So schlängelt er sich vom schlammdunklen Kerker eines Schwulenclubs, in dem der kranke Romain seine Attraktivität noch einmal auslotet, hinein in die Pariser Parks, vor deren Helligkeit sich der Sterbende mit einer Sonnenbrille schützt.

Manchmal erinnert dies an Patrice Chéreaus aufwühlendes Abschiedszeremoniell SEIN BRUDER, wenn da auch der Ton rauher und Ozons Geschichte hingegen eine fast friedvolle ist. Trotz aller echten Tränen, trotz aller traurigen und bereits ohne Hall erklingenden Worte in den wie immer bei Ozon brillant geschriebenen Dialogen, weht nirgends der Wind der Verbitterung. Ein mutiger Weg - zumal im modernen Kino - den Dahinscheidenden eher seinem inneren Sturm zu überlassen, als einem aufgesetzten Heldentum zu opfern. Dennoch romantisiert Ozon den Tod nicht, er entmystifiziert ihn aber. Am intensivsten sind die wenigen Momente zwischen Romain und seiner Großmutter: diese tiefbewegende Liebe zwischen der alten, aber an sich kerngesunden Frau und dem jungen, zum Tode verurteilten Mann. Ein unvergeßliches Bild, wie die von Jeanne Moreau gespielte Frau ihrem Enkel zum Abschied winkt. Vorher - auch hier zeigt sich wieder das Talent des Beobachters Ozon - werden Moreaus schöne, alte, stolze Hände in Großaufnahme gezeigt.

Die Moreau, übrigens nur eine Offenbarung in einem atemberaubenden Ensemble, erwähnte im Interview, daß diese Arbeit Spuren hinterließ. Das glaubt man ihr aufs Wort.

Originaltitel: LE TEMPS QUI RESTE

F 2005, 79 min
Verleih: Prokino

Genre: Drama, Tragödie, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Melvil Poupaud, Jeanne Moreau, Christian Sengewald, Valeria Bruni Tedeschi

Regie: François Ozon

Kinostart: 20.04.06

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.