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Drawing Restraint 9

Björk entdeckt den Wal im Menschen – oder umgekehrt

Matthew Barney ist ein Künstler und DRAWING RESTRAINT 9 sein liebstes Kind. Dafür spricht nicht bloß die Dreifachfunktion als Regisseur, Autor sowie Protagonist, sondern gleichsam die sich in jeder Szene zeigende Hingabe, aber auch Strenge, die bewußte Förderung der übergroßen Individualität seines Nachwuchses. Und um das Familienidyll zu komplettieren, spielt Gattin Björk die weibliche Hauptrolle.

Wobei man "spielen" natürlich relativieren sollte, denn dazu gehört normalerweise verbale Darstellung in Dialogform – gesprochen wird hier jedoch so gut wie überhaupt nicht. Dafür schwebt Islands Goldkehlchen zu einigen für den Film geschriebenen Liedern über die Planken eines Walfängers, so ätherisch schön wie nie. Zumindest bis zum Verlust ihrer Augenbrauen. Barney selbst wird ebenfalls Teile seiner Haarpracht einbüßen, was beide jedoch nicht daran hindert, sich auf der Leinwand erneut ineinander zu verlieben. Derweil zieht die Crew des Schleppers eine stilisierte Walpuppe an Bord und zerlegt diese fachmännisch. Die zwei Fremden wohnen einer japanischen Tee-Zeremonie bei und erfahren manches über die Geschichte des Schiffes. Ein seekranker Junge übergibt sich in Großaufnahme, das Erbrochene ähnelt verdächtig der Vaseline, welche auf dem Arbeitsdeck eine gigantische Skulptur bildet. Und langsam bekommt man eine vage Vorstellung davon, was Barney eigentlich sagen möchte.

Dennoch bleibt dieses audiovisuell ohne Frage an Meisterwerk-Sphären kratzende cineastische Experiment stets doppelbödig, irgendwie flüchtig, in seiner bis zum Stillstand ruhigen Erzählweise sicherlich auch streitbar. Kunst oder Kitsch? Leidenschaft oder Langeweile? Man wird es in jedem Fall durchstehen müssen, zumal Barney sich keinen Deut um gängige Sehgewohnheiten schert, unter anderem mit einer in ihrer Detailliertheit, aber auch perfiden Ästhetik sogar abgehärtete Mägen gnadenlos prüfenden Verstümmelungssequenz schockiert. Alles im Sinne des Kindes.

Wie jeder Sprößling macht dieses schließlich noch diverse Metamorphosen durch, verschont dabei im grandiosen Finale selbst seine Eltern nicht. Ein Wechselbalg? Oder ein bezaubernder Engel? Barney und Björk lieben ihren Nachwuchs ganz offensichtlich. Aufgeschlossene Kinogänger mit Sitzfleisch dürfen sich anschließen.

Originaltitel: DRAWING RESTRAINT 9

USA/J 2005, 135 min
Verleih: Alamode

Genre: Poesie, Psycho, Schräg

Darsteller: Björk, Matthew Barney, Shigeru Akahori, Koji Maki, Yushin Maru

Stab:
Regie: Matthew Barney
Drehbuch: Matthew Barney

Kinostart: 27.07.06

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...