3 Bewertungen

I Killed My Mother

Sensibles Drama über vollendete Haßliebe

Was für ein Debüt! Xavier Dolan avanciert mit 19 Jahren als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller von J’AI TUÉ MA MÈRE, so der französische Originaltitel, zum Shooting-Star der kanadischen Filmkunst. Kaum zu glauben, aber auf allen drei Gebieten überzeugt er gleichermaßen.

„Die Mutter eines Sohnes wird nie seine Freundin“ lautet ein Satz von Cocteau, den die Lehrerin dem 17jährigen Hubert zitiert. Er hatte ihr erzählt, seine Mutter sei tot – und die Mutter hatte sich für diese Lüge revanchiert, durch einen bühnenreifen Auftritt in der Schule. Abgesehen von solchen Extravaganzen ist an Huberts Mutter eigentlich nichts auszusetzen. Gut, ihr Hang zu Nippes und Tigerfell, ihr Dasein als Couch-Potato, ihre ständigen Vorwürfe an Hubert, er lasse sich bedienen. Komplett ungewöhnlich ist das nicht. Doch Hubert hat sich schon längst in einen fast pathologischen Ekel hineingesteigert, dem jeder noch so kleine Brotkrümel im Mundwinkel der Mutter Auftrieb gibt, und der alles wegzuspülen scheint, was die beiden früher verbunden hat.

Dolan verknüpft das klug mit einem verpatzten Coming Out, das von der Mutter als Vertrauensbruch empfunden wird. Nicht Szenen einer Ehe, sondern Szenen einer Mutter-Sohn-Beziehung erzählt er also, so klar und offensiv, als habe er jede Sekunde des Filmes selbst durchlebt. Huberts Mutterhaß entspringt nicht seinem Mangel an Einfühlungsvermögen oder seiner Ignoranz. Im Gegenteil, er ist sensibel und selbstreflexiv, und die Mutter ist sein wichtigstes Thema: „Wären meine Mutter und ich uns unbekannt, könnten wir miteinander reden.“

Xavier Dolan und Anne Dorval lassen in ihrem Spiel jederzeit eine starke Bindung zwischen Sohn und Mutter aufscheinen, voller Wut und unterdrückter Zärtlichkeit. Diese Vielschichtigkeit trägt die sich steigernden Verletzungen und Versöhnungen ebenso wie die komischen Momente. Etwa, wenn Hubert nachts auf Speed in einem Anflug von übersteigerter Liebe das Schlafzimmer seiner Mutter stürmt, um ihr endlich am Stück alle bislang verhinderten Worte zu sagen.

Auch bei der Besetzung und Führung der Nebenfiguren beweist Dolan ein glückliches Händchen. Ihm ist ein durch und durch reifer und poetischer Film gelungen über die Jugend und die Erkenntnis, daß man nicht der Person davonlaufen kann, die einen geboren hat. Noch dieses Jahr können wir uns übrigens auf Dolans zweiten Streich freuen: LES AMOURS IMAGINAIRES.

Originaltitel: J'AI TUÉ MA MÈRE

Kanada 2009, 100 min
FSK 16
Verleih: Kool

Genre: Drama

Darsteller: Xavier Dolan, Anne Dorval, François Arnaud

Regie: Xavier Dolan

Kinostart: 03.03.11

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...