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Ich fühl mich Disco

Mama, Papa und der Turmspringer

„Paß auf das Auto auf!“ Einen Blick auf Flori, einen auf seinen hyperventilierenden Vater – da weiß man schon, was passiert. Und kriegt Einblick in ein Verhältnis, das kein bestes ist. Wie auch, wenn der selbst kugelrunde Erzeuger über seinen Jungen, wirklich dick und schwerstpubertierend, abfällig meint: „In seinem Alter war ich nicht so fett!“ Bei Axel Ranisch, diesem neuen, großäugigen und träumerischen Wunderkind des deutschen Kinos, wird nicht lange gefackelt, in flink montierten, niemals oberflächlichen, dafür mit schmissigen Herz-Schmerz-Fummelschlagern untermalten Szenen wird ein Spielfeld skizziert, in dem Mama und Sohnemann ganz dicke miteinander sind, und der Vater irgendwie Fremdkörper bleibt. Das gelingt herrlich übertrieben und gleichermaßen geerdet, das ist durchaus von gesundem Trash-Appeal und dennoch authentisch, weil: einfach gut geschrieben! Dazu gehört der heiß-kalte Wechsel im Tonfall, weshalb der kunterbunte Luftballon bald platzen muß, da braucht’s das Drama und zwar richtig: Mama fällt ins Koma, Schlaganfall. Jetzt müssen die Männer miteinander auskommen, was schwierig ist, denn Flori fragt in seinen Träumen, ob Papa ihn überhaupt mag. Und als der Vater ihm eines Tages, ganz der Pragmatiker, entgegenheult, daß Mama nicht mehr aufwachen wird, bleibt dem Jungen ein wütendes: „Doch!“ Noch einmal: Das ist einfach richtig gut geschrieben! Und damit eine Seltenheit im deutschen Kino, das doch häufig zu schnell tüttelig oder eben frostig wird. Der Alltag muß neu gerichtet werden, für den Jungen bedeutet das: ab morgen in die Schwimmhalle, in der sein Vater Turmspringer ausbildet. Einer der Jungs auf dem 5-Meter-Brett heißt Rado. Und plötzlich fühlt sich Flori Disco ...

Einen derart warmherzigen, mal mit stillem, mal mit derberem Witz orchestrierten und durchweg mit sauguten Darstellern besetzten Film hat man im Kino wirklich nicht oft gesehen! Ganze Eimer voller Gefühl werden verschüttet in der Geschichte über die erste Liebe und übers familiäre Fremdeln, über Unsicherheit und Trauer. Den komplexen Vater-Sohn-Konflikt nutzt Ranisch, um die letztendlich gar nicht so weit auseinanderdriftenden Gefühlslagen treffend zu beschreiben: der eine phantasiert und träumt, der andere säuft und heult. Und immer dann, wenn man mitheulen möchte, taucht dieser an sich unmögliche Schlagerfuzzi Christian Steiffen auf, ein mitteljunger Maffay-Klon, eine lebenskluge Discotrulla mit Rhythmusmaschine und dem dann doch immer richtigen Spruch im Refrain. Ein wunderbarer skurriler Einfall!

ICH FÜHL MICH DISCO ist vor allem eine grundgute Außenseitergeschichte, denn trotz Fummelei, einem Kuß und dem wirklich süßen gemeinsamen Aufwachen im Bett wird klar, daß Rado, der picklige, halbstarke Sportler, und Flori, der rotwangige Träumer mit Schwabbelbauch, kein Paar werden können. Einer traut sich eben immer nicht. Aber bis das alle Beteiligten erkennen, fährt Axel Ranisch, dieser bärtige Teddybär mit dem Riesenherzen, die ganz große Oper aus Schluchz- und brüllkomischen Momenten. Zu letzteren zählen eine Beratungsstunde mit Onkel Rosa und eine Gebrüll-und-Gummi-Abendbrottischszene zwischen Papa, Flori und Rado, von der nun wirklich nichts weiter verraten werden soll. Anschauen, lachen, weinen, sich Disco fühlen!

D 2013, 90 min
FSK 12
Verleih: Salzgeber

Genre: Tragikomödie, Erwachsenwerden, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Frithjof Gadwenda, Heiko Pitkowski, Robert Alexander Baer, Rosa von Praunheim, Petra Hartung, Christina Große

Regie: Axel Ranisch

Kinostart: 31.10.13

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.