Österreich 2014, 85 min
FSK 16
Verleih: Neue Visionen

Genre: Dokumentation

Regie: Ulrich Seidl

Kinostart: 04.12.14

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Im Keller

Fetischisten, Nazibirnen und Fitneßfanatiker

Ulrich Seidl blickt nicht zum ersten Mal in menschliche Abgründe, er bewegt sich seit jeher auf dem Grenzgebiet zwischen Dokumentar- und Spielfilm, hat die Grauzonen des Humanen zu seinem Spezialgebiet gemacht. Diesmal steigt er ganz konkret hinab, um die österreichischen Keller ins Visier zu nehmen. Die haben, spätestens seit den Enthüllungen der Fälle Kampusch und Fritzl, einen ganz besonders schlechten Ruf. Beste Voraussetzungen für jemanden, der sich zwar nach eigener Aussage für die „ganz normalen Menschen“ interessiert, dem es aber dennoch immer wieder gelingt, aus deren Alltag ein Panoptikum des Schreckens zu generieren. Dabei, so Seidl unschuldig, wollte er nur wissen, „was Keller über ihre Besitzer aussagen.“

Nach 90 Minuten weiß man: So viel ist das nicht. Natürlich versammelt Seidl ein illustres Freak-Ensemble. Diverse Sadomaso-Anhänger, opernträllernde Waffennarren und – wie sollte es anders sein – Ewiggestrige unterm Hitlerporträt wechseln sich ab mit spießigen Rentnern und Fitneßfanatikern. Seidl inszeniert seine Protagonisten wie gewohnt in typischen, stummen Tableaus, in denen die Kellerräume zu beklemmenden Orten der Triebabfuhr werden. Hinter jedem Marmeladenregal dräut neues Unglück.

Pünktlich zum Start hat der Film auch seinen Skandal: Zwei der sangesfreudigen Trinker unterm Hakenkreuz stellten sich als ÖVP-Mitglieder heraus, die kurz nach dem Dreh für die Volkspartei in Amt und Würde gewählt wurden. Der Aufschrei war groß, die Ämter futsch und der Ruf ruiniert. Beide versuchten nun, ihren Auftritt im Nazi-Keller mit der Existenz eines „Statistenvertrages“ zu rechtfertigen: alles nur gespielt und deshalb gar nicht wahr. Dies wirft nicht nur ein bezeichnendes Licht auf ihre eigene politische Haltung, sondern durchaus auch auf Seidls Herangehensweise. Tatsächlich wirken nicht nur diese beiden Protagonisten in diesem Film wie Statisten der bizarren Umgebungen, in denen Seidl sie in Szene setzt.

Mehr als jemals vorher wird bei IM KELLER deutlich, daß Seidl flunkert: Der Regisseur interessiert sich eigentlich nicht so sehr für die Menschen, spektakuläre Bilder, die sie ihm liefern (und die er bei Bedarf mit leichter Hand gern auch noch zuspitzt), sind für ihn entscheidend. Das vage Gefühl, das einen bei IM KELLER beschleicht, hat seinen Ursprung also weniger in den teils bizarren Verhaltensweisen, die hier zu sehen sind, sondern in der voyeuristischen Position, in die Seidl seine Zuschauer zwangsversetzt. Die gilt es auszuhalten.

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.