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Jeder siebte Mensch

Wenn guter Wille kläglich scheitert

In unserer kontrollierten Welt geht nichts mehr ohne Statistiken, die mal weniger (jeder siebte Mensch in Deutschland leidet unter Schlafstörungen), mal mehr aufrütteln (jeder siebte Mensch auf dem Globus hungert). Irgendwo dazwischen liegt die Information, daß jeder siebte Mensch Einwohner eines chinesischen Dorfes ist. Grund genug für zwei Filmemacherinnen, eine Dokumentation über Land und Leute zu drehen.

Auf ihrer Reise wurden sie mit allerhand Skurrilem konfrontiert, so unter anderem einer sozialistischen Musterkommune, welche regelmäßig Auszeichnungen wie "Zivilisiertes Dorf" erhält und an ihre Einwohner Sterne verleiht, wenn sie besondere Leistungen in Sachen Nachwuchsplanung oder Pflichterfüllung erbringen. Da kann es einem manchmal schon himmelangst werden, vor allem bei Auswüchsen wie der Geburtenkontrolle – potentielle Sprößlinge müssen parteilich genehmigt sein! Überhaupt hat diese Doku zumindest anfangs einige beeindruckende Augenblicke im Beobachten und Zuhören; etwa dann, wenn Eltern sich eine bessere Zukunft für ihre Kinder wünschen, bloß keine Arbeit auf dem Feld.

Nach dem starken Beginn drängt JEDER SIEBTE MENSCH dann aber leider doch in eine aufdringliche, polemische Richtung, läßt unkommentiert Aussagen vom Schlage "Früher war alles schlecht, heute geht es uns aber ganz toll" zu, die störend verordnet klingen, den Spagat zwischen Marktwirtschaft und kommunistischer Staatsform außer acht lassen. Hinterfragt wird dabei so gut wie nichts. Wenn die beiden Regisseurinnen wirklich mal nachhaken, kann man ob ihrer Prioritäten nur fassungslos den Kopf schütteln. Bestes Beispiel: Eine Frau erzählt, daß sie aus Armutsgründen mit dem Gatten in einer eigenhändig gegrabenen Höhle leben mußte. Wofür interessiert man sich angesichts einer solchen Information als westlich geprägte Filmemacherin, welche einzige Facette will man näher beleuchten? Genau: "Hatten Sie da schon Fernsehen?" Klar, und W-Lan sicherlich auch ...

Was als Porträt eines zerrissenen Landes beginnt, versandet so immer mehr in Banalitäten und endet trotz jahrelanger Recherchen nach nur 74 wenig aussagekräftigen Minuten, die bestenfalls auf dem Niveau kultureller Bildungsreisen rangieren und Entlarvendes durch Unterhaltung ersetzen.

Österreich/Luxemburg 2006, 74 min
Verleih: Neue Visionen

Genre: Dokumentation

Regie: Elke Groen, Ina Ivanceanu

Kinostart: 31.07.08

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...