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Morast

Sozialstudie? Seelenlose Kraftmeierei!

Die mißmutige Endvierzigerin Mecha stürzt in betrunkenem Zustand und bleibt blutend neben dem verdreckten Pool liegen – ihrem Ehemann ist dies lediglich die Bemerkung "Steh’ auf, es regnet gleich!" wert. Tali, Mechas Cousine, hat dagegen vier frühreife Bälger und einen jagdwütigen Partner am Hals. Menschen wie Du und ich eben.

Sie wissen nichts mit sich anzufangen, und dann kommt die ganze Sippe auf einem im Verfall begriffenen Landsitz zusammen. Dort säuft Mecha ohne größere Pause, Tali wird von ihren Gören genervt, gemeinsam hängen alle permanent am Telefon oder fallen verbal über die indianischen Dienstboten her. Zum Schluß sitzt man wieder am Pool – wahrscheinlich bis zum Jüngsten Tag.

Besonders harte Cineasten nehmen wohl unverzagt an, daß Lucrecia Martel ein entlarvendes Werk drehen, den schleichenden Untergang der lethargischen modernen Gesellschaft aufzeigen wollte. Unter solcher Prämisse wirken mittels moralischem Holzhammer verabreichte Anklagen wie der erwähnte Rassismus dennoch eher gewollt denn wirklich gekonnt, parallel dazu lassen sich indes sogar Unwichtigkeiten als aufrüttelnde Metaphern deuten. Mechas Gatte färbt sich die Haare: na klar, übertriebener Jugendwahn! Sie schaut im Alkoholrausch trübe in die Kamera: aha, bedeutungsschwangerer Blick! Ihr Sohn hat ein Auge verloren: brillantes Gleichnis auf die Blindheit der menschlichen Rasse! Heftige Wolkenbrüche verwandeln den tropischen Boden in Sumpfgebiet: wunderbare Versinnbildlichung des Versinkens der Charaktere im eigenen Morast (derartige Wortspiele drängen sich angesichts des Titels ja förmlich auf)!

Sicher kann man noch jeden hingerotzten Dialog mit Macht als tiefschürfendes Essay interpretieren, aber das macht diese aufgeblasene, schlammzähe und kalte Kopfgeburt auch nicht besser. So manche verlogene Hollywood-Schmonzette ertrinkt darin, hier wurde völlig auf sie verzichtet: Emotionen. Was ist eigentlich schlimmer? Karl Heinz Deschner brachte es auf den Punkt, indem er sagte: "Ohne mein Herz ertrüge ich meinen Kopf nicht. Und ohne meinen Kopf wäre ich schon längst das Opfer meines Herzens geworden."

Originaltitel: LA CIÈNAGA

Argentinien/Spanien 2001, 102 min
Verleih: Pegasos

Genre: Drama

Darsteller: Graciela Borges, Mercedes Moran, Sofia Bertolotto, Andrea Lopez

Stab:
Regie: Lucrecia Martel
Drehbuch: Lucrecia Martel

Kinostart: 17.10.02

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...