Originaltitel: GISAENGCHUNG

Südkorea 2019, 132 min
FSK 16
Verleih: Koch Films

Genre: Satire, Thriller

Darsteller: Song Kang Ho, Lee Sun Kyun, Cho Yeo Jeong

Regie: Bong Joon Ho

Kinostart: 17.10.19

30 Bewertungen

Parasite

Die Schere zwischen Arm und Reich als tödliches Kriegswerkzeug

2019 in Cannes, ein überraschend starker Jahrgang findet sein Ende, trotzdem erhält PARASITE die Goldene Palme – und frischer Wind bringt darob ihre gediegenen Blätter zum Rauschen. Es war wohl ein faszinierendes Geräusch, sehr menschlich, changierend zwischen gequältem Ächzen und höhnischem Kichern. Zwecks Verständnis müssen wir uns auf das Level von Familie Kim bemühen – ganz unten, buchstäblich, Obdach bietet ein stinkendes Kellerloch. Komplett konträr Familie Park, Besitzer einer todschicken Villa. Selbige gerät, solche Zukunftssicht sei gewagt, wahrhaftig bald zum Spielplatz des Todes, als sich die Kims trickreich einschleichen, unentbehrliche Bedienstete werden.

Hat Regisseur Bong Joon Ho also einen Home-Invasion-Thriller gedreht? Könnte man sagen, aber er nimmt quasi den Hintereingang, auf höflich leisen Sohlen – um die Herrschaft nicht zu stören – pirschen die Aggressoren heran, und das gewetzte Messer soll, zumindest momentan, dem Anschneiden diverser Leckereien statt skrupelloser Tötung dienen. Irgendwie könnte jetzt alles halbwegs okay sein: Die Kims entkommen der Armut, tragen den Parks eigene Arbeitskraft an und fremde Hintern hinterher, Frau Park kann weiter depressionsnah dämmern und des schwer beschäftigten Gatten Rückkehr ersehnen.

Was prinzipiell nach übler Schwarzmalerei klingt, auch der Titel scheint klar parteiisch, doch von Baumeister Bongs sowieso schlecht asphaltierten Straßen gehen unzählige Trampelpfade ab, enden direkt in dornigem Dickicht, giftigem Gestrüpp und fiesen Fallgruben: Keine einzige Figur wirkt tatsächlich rundum unsympathisch, niemandem will man ernsthaft Böses wünschen, obgleich sie faktisch alle Parasiten sind, saugend aneinander. Doppelte Böden? Wie langweilig stabil, es bedarf permanent drohenden Falls und völligen Freidrehens, um Bongs Gesellschaftssatire, dieser Klassenkämpfe wörtlich zu Ende fechtenden Schreckensvision, feurige Würze zu verleihen.

Und er greift konsequent tief ins Regal der scharfen Sachen, verstärkt den bitteren Geschmack mit Humor, gnadenlos finster und daher ziemlich unangenehm, dennoch verdammt komisch. Mea culpa – ich habe gelacht! Und mich sofort danach etwas mies gefühlt, nur kurz allerdings, Bong fordert sie ja regelrecht ein, jene Zähne zeigende Heiterkeit, hysterisch und dunkel wie das ständige Herunterbeten lebensnotwendiger „Entschlossenheit“ oder das Umfunktionieren leckerer Früchte zur hundsgemeinen Waffe.

So krankes Genie verdient unverhohlenen Respekt, indes möchte man Bong kaum nachts begegnen, zumal angesichts meisterhaft inszenierter Stimmungsschwankungen – nicht allein, wenn ein eben noch sämtliche Würde vergessendes, bettelndes Häufchen humanen Elends infolge unerwarteter Situationskorrektur tyrannische Rache übt.

Bongs berstend gespannten Höllenritt in den Abgrund blähen von Beginn bis Epilog nie überflüssige Szenen oder selbstgefällige Spielereien, vielmehr gärt fauliges innerfamiliäres Brodeln auf beiden Seiten, mühsam unterdrückte Aggressionen, verblichene Emotionen, Ekel voreinander und eigenem Versagen. Das kann bloß sehr endgültig knallen, nachdem apokalyptischer Regen offenbar versuchte, durch eine neue Sintflut die Verderbtheit wegzuwaschen. Ohne Erfolg.

Glücklicherweise, schließlich gibt derartiges Versagen Bong erst Gelegenheit, uns die denkbar gemeinsten finalen 20 Sekunden ins Gesicht zu schmettern; frostiger Umgebungstemperatursturz inklusive.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...