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Paulette

Alternativen zum Riestern als beste Unterhaltung

Das Thema Altersarmut ist sicher keines zum Lachen, zumindest nicht für all jene, die nicht schon seit Schultagen fleißig „riestern“ oder ihr Geld auf Schweizer Bankkonten an der Steuer vorbeimogeln. Dennoch macht Not bekanntermaßen erfinderisch, auch wenn das Hirn nicht mehr ganz taufrisch und die Knochen schon etwas eingerostet sind. Und so entstehen auch im Rentnermilieu hin und wieder Geschichten, die zu Stoffen für die große Leinwand taugen. So geschehen bei PAULETTE, einer typisch französischen Außenseiterkomödie, zu der Regisseur Jérôme Enrico durch eine Meldung aus der Lokalzeitung inspiriert wurde. Besagter Artikel beschrieb eine alte Dame aus einem großstädtischen Problembezirk, die ihre magere Rente durch den Verkauf von Cannabis aufbessert. Und schwups, ward eine Filmidee geboren.

Kennt man doch alles schon, mag der eine oder andere jetzt sagen und auf erfolgreiche Stoffe mit ähnlicher Prämisse aus Kino (GRASGEFLÜSTER, JETZT ODER NIE) und TV (WEEDS, BREAKING BAD) verweisen. Sicher, die Idee, eine brave, gutbürgerliche Figur auf die rauhe Welt des Verbrechens treffen zu lassen, hat schon etwas Bart, allerdings geht PAULETTE dem Vorwurf der mangelnden Originalität mit einer rauhbeinigen „Darauf pfeif ich“-Attitüde aus dem Weg, die perfekt zur Hauptfigur paßt. Denn Paulette ist alles andere als gutbürgerlich, und brav ist sie schon gar nicht. Die verbitterte Witwe lebt in einem der berühmt-berüchtigten Vororte von Paris und hat dennoch am Ende des Monats kaum genug zum Leben übrig. Die Schuldigen für ihre Misere hat Paulette schnell gefunden, die bösen Ausländer aus ihrem Viertel sind schuld am Elend des Landes! Ja, Paulette ist eine üble Rassistin, und ihr Fremdenhaß macht selbst vor ihrem Enkel Leo nicht halt, dessen Papa schwarz ist, und den Paulette wegen seiner Hautfarbe sträflich schlecht behandelt.

Aber miesepetrig ist Paulette ausnahmslos zu allen, auch zu ihrem Nachbarn Walter mit seinen zarten Annäherungsversuchen und sogar zu ihren treuen Freundinnen aus der Nachbarschaft. Dennoch gönnt man es der misanthropischen Dame nicht, daß ihr die Geldsorgen bald über den Dutt wachsen. Als ihr durch Zufall ein Päckchen Haschisch in die Hände fällt, und sie schnell begreift, wie lukrativ das Geschäft mit dem pflanzlichen Rauschmittel ist, verschafft sie sich bei der lokalen Drogengröße Vito ein Vorstellungsgespräch. Dem leuchtet schnell ein, wie gut sich eine harmlos scheinende Rentnerin als Dealerin eignet. So nimmt Paulettes Leben eine Wendung, die auch ihre eingefrorene Persönlichkeit langsam wieder auftauen läßt.

Daß diese zunächst gar nicht liebenswerte Figur dennoch sofort zu Herzen geht, hat PAULETTE der großartigen Bernadette Lafont zu verdanken. Sie trägt diesen Film und sorgt auch in den schwächeren Szenen, in denen der Humor etwas flacher gerät und die Vorhersehbarkeit obsiegt, dafür, daß die emotionale Tiefe stimmt. Die anfänglich stärker präsenten sozialkritischen Töne werden zwar gen Ende immer leiser, aber auch das mag man gern verzeihen, denn die Macher nehmen hier trotz zum Teil herrlich düsterer Zwischentöne von Anfang an ganz klar Kurs auf eine klassische Feel-Good-Komödie. Ein gutes Gefühl hinterläßt der Film allemal, auch ganz ohne Konsum von Paulettes Verkaufsschlager.

Originaltitel: PAULETTE

F 2012, 87 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Bernadette Lafont, Carmen Maura, Dominique Lavanant, Francoise Bertin, André Penvern

Regie: Jérôme Enrico

Kinostart: 18.07.13

[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...