Noch keine Bewertung

Pieta

Die Schmerzensreichen mit den blutigen Händen

Ein Stadtviertel bebt vor Angst. Kleine Handwerksmeister nehmen Abschied von ihren Familien, ihren gesunden Armen und Beinen. Denn Lee Kang-do durchstreift die Straßen von Seoul: flaumweiches Kindergesicht über steinernem Herzen, seltsam lässig gekleidet für die vernachlässigte Gegend, ein Trendhaarschopf zur James-Dean-Attitüde. Weder von vernagelten Türen noch opferbereiten Ehefrauen läßt er sich abhalten. Wer seine Schulden nicht bezahlt, muß leiden. Die Versicherungssumme für eine abgetrennte Hand oder einen zertrümmerten Unterschenkel hält Kang-dos Auftraggeber schadlos.

Maschinengeräusche, der Klang von Eisen auf Knochen begleiten Kim Ki-duks Hauptfigur durch einen Film, der von Schuld, Vergebung und Vergeblichkeit handelt. Und weil man mit der christlichen Ikonographie nicht spielt, macht der Regisseur mit ihr bitteren Ernst. Er flicht seine metaphorische Geschichte aus einer entwurzelten, durchkapitalisierten Gesellschaft auf den kanonischen Bildtypus der Pietà wie der Henker den Delinquenten aufs Rad. Ein knochenbrecherischer künstlerischer Akt, dem auch das eingesungene „Dona nobis pacem“ nichts von seiner Grausamkeit zu nehmen vermag.

Kim Ki-duks Variante einer Mater Dolorosa heißt Mi-sun und gibt vor, Kang-dos Mutter zu sein, die den Jungen einst im Stich ließ. Ob die fremde Frau, die plötzlich in sein Leben drängt, ihn aber auf einen Leidens- oder doch einen Erlösungsweg führt? Und ist das, spirituell gesehen, nicht dasselbe? Jedenfalls besorgt sie ihm den Abwasch und bereitet das Essen, läßt sich von ihm schänden, erweicht sein versteinertes Gemüt durch ihre Duldsamkeit – und macht schließlich auch ihn, den schmerzbereitenden Sohn, verletzlich.

Mit dieser exzentrischen, ungewöhnlich rhythmisierten Motivverdopplung unterstreicht Kim Ki-duk seinen Ruf als bild- und poesiemächtige, gelegentlich auch blutrünstige Sphinx des südkoreanischen Kinos, vor der internationale Festivals, zuletzt die Löwenbändiger von Venedig, regelmäßig niederknien. Freilich, nach Arbeiten wie SEOM, HWAL oder dem gleichnishaften Fünfjahreszeitenfilm konnte man sich an seine Art des Rätselstellens gewöhnen: von Obsessionen angetriebene Privatmythologien in Insellage, ausgemalt mit den Ritualen einer Spiritualität ohne Konfession, heillos verstrickt und verhakt in die Schönheiten, Banalitäten und Grausamkeiten des südkoreanischen Hier und Jetzt. Und sei es über eine Nabelschnur …

Originaltitel: PIETA

Südkorea 2012, 104 min
FSK 16
Verleih: MFA

Genre: Drama, Thriller

Darsteller: Lee Jeong-jin, Cho Min-soo, Woo Gi-hong

Stab:
Regie: Kim Ki-duk
Drehbuch: Kim Ki-duk

Kinostart: 29.11.12

[ Sylvia Görke ]