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Schilf

Viele Welten, zwei Physiker, kein Kommissar

Wüßte man es nicht besser, so würde man den Begriff „Multiversum“ nicht einem Quantenmechaniker, sondern einem Künstler zuschreiben. Denn wer sonst hätte einen je so selbstverständlich mit der Existenz paralleler Welten konfrontiert? Doch was tut der Künstler, wenn ihm der Wissenschaftler eines seiner liebsten Spielfelder streitig machen will? Richtig: Er besetzt ihn in einer Hauptrolle.

Auf diese Weise avancieren die jungen Physiker Sebastian und Oskar zu Protagonisten eines metamodernen Kunstmärchens um die Viele-Welten-Interpretation. Seit Studienzeiten sind sie befreundet. Inzwischen aber hat Sebastian eine Kleinfamilie gegründet und eine Professur an seiner Alma Mater in Jena angetreten, während Oskar in Genf Grundlagenforschung betreibt. Nicht nur die Lebens-, auch die wissenschaftlichen Wege haben sie auseinandergeführt. Sebastian, der, von Oskar wechselnd belächelt und beschimpft, die sich überlagernde Existenz mehrerer Realitäten vertritt, sieht die eigene plötzlich in Auflösung begriffen. Söhnchen Nick wurde entführt. Der anonyme Erpresser fordert ein ungeheuerliches Lösegeld: „Dabbeling muß weg.“

Dieser Dabbeling, Busenfreund von Sebastians Ehefrau und passionierter Radsportler, bleibt nicht umsonst Nebenfigur, denn er macht in voller Fahrt Bekanntschaft mit einem Drahtseil. Das will Ariadnefaden durch – ach du liebe nichtlineare Zeit! – heftige chronologische Verschiebungen sein, durch auditive Fehlleistungen und Schrödinger’sche Katzen. Und es verbindet zugleich zwei Frauen, von denen noch gar keine Rede war. Um das nachzuholen: Juli Zeh, Juristin und Vertreterin des literarischen Fräuleinwunders der 2000er Jahre, hat mit ihrem Physiker-Roman „Schilf“ einen bis in die Nebensätze mit Hoch- und Alltagsgelehrtheit aufgeladenen Beitrag zum Thema Exzellenzinitiative geleistet, der in unserer zuguttenbergten Republik fast rührend altmodisch wirkt.

Claudia Lehmann, promovierte Physikerin und gelobte Filmabsolventin, verwandelte den Beinahe-Krimi in einen Beinahe-Thriller, der formal wie emotional auch nur beinahe überzeugt. Obwohl sich doch mindestens der titelgebende Roman-Kommissar Schilf bei ihr in metaphysischen Nebel, manche sagen in esoterischen Quark, jedenfalls aber in Rauch aufgelöst hat, kamen bei der Reibung von Film an Text wenig nennenswerte Funken zustande.

D 2011, 90 min
FSK 12
Verleih: X Verleih

Genre: Literaturverfilmung, Thriller

Darsteller: Mark Waschke, Stipe Erceg, Bernadette Heerwagen, Sandra Borgmann, Paul T. Grasshoff

Regie: Claudia Lehmann

Kinostart: 08.03.12

[ Sylvia Görke ]