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Schizo

Filmisches Kleinod aus Kasachstan

Kasachstan in den frühen 90ern. Alma Ata ist nicht weit entfernt, und doch ist eine Stadt kaum vorstellbar, dort wo man nur Steppe sieht, das Blau des Himmels und ein einsames Wartehäuschen vor dem weiten Horizont. Ein alter Bus hält kurz an und markiert den Anfang der Geschichte oder vielmehr den Moment, indem sie für den Zuschauer beginnt.

Die Szene wechselt in den schummrigen Korridor eines Krankenhauses, dann in ein Behandlungszimmer. Eine Mutter konsultiert den Arzt wegen ihres vielleicht 15jährigen Sohnes. Worunter der Junge leidet bleibt unklar, nur der Spitzname, den Mitschüler ihm gaben, deutet hin auf eine Krankheit: Schizo. Der Arzt verordnet Tabletten und redet von einer Therapie in der Stadt. Die Mutter muß dafür noch sparen. Weil Schizo nicht mehr zur Schule geht, macht ihn der Freund der Mutter zu seinem Gehilfen. Sakura verdient sein Geld damit, Boxer für illegale Kämpfe ohne Regeln zu rekrutieren. Die Wahrscheinlichkeit bei diesen Kämpfen umgebracht zu werden, ist weitaus höher als die zu überleben. Die Chance, den Hauptpreis, einen alten Mercedes, zu gewinnen, geht gar gegen Null. Eines Tages bittet ein sterbender Boxer Schizo darum, das verdiente Geld zu seiner Freundin zu bringen. So lernt dieser Zinka und ihren kleinen Sohn kennen, die in einer abgelegenen Hütte leben. Immer wieder kehrt der Junge zu den beiden zurück, mit Geld oder kleinen Geschenken. In den Zeiten dazwischen aber scheint sein Leben mehr und mehr aus der Bahn zu geraten É

Guka Omarova (Regie) und Hasanbek Kydyralieyev (Kamera) erzählen eine der schönsten Geschichten des Kinos über das Erwachsenwerden und das Erwachsensein. Die Handlung ist konzentriert auf eine Zeitspanne, in der die Kindheit endet. Die Regie ersinnt hierfür Schlüsselszenen, die teilweise hart gegeneinander geschnitten sind. Dennoch ist der Film ohne Brüche, die Erzählung fließend. Was dem ungewöhnlichen, in sich gekehrten Schizo widerfährt, fängt die Kamera in eindringlichen Bildern ein, gleichnishaft und poetisch, aber auch ungeschönt und sogar dokumentarisch. So sind die Aufnahmen der Boxkämpfe nicht fiktiv, sondern authentisch.

Das ungewöhnliche Talent des Hauptdarstellers Olzhas Nusupbaev läßt überdies leicht vergessen, daß der Charakter des Mustafa ein erfundener ist. Erst am Ende, der Junge ist ein Mann geworden, bricht diese Wahrnehmung. Die Kamera entfernt sich langsam, die Figur wird kleiner und kleiner, und der Film entläßt Schizo gleichsam in ein Leben ohne Zuschauer.

Originaltitel: SHIZO

Kasachstan/D/F/Rußland 2004, 86 min
Verleih: Xenix

Genre: Erwachsenwerden, Drama

Darsteller: Olzhas Nusupbaev, Olga Landiva, Eduard Tabischev

Regie: Guka Omarova

Kinostart: 30.11.06

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.