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Shalom Italia

Der Erinnerung auf der Spur

Im Grunde besteht die „große“ Geschichte, also die offizielle Lesart der Vergangenheit, aus vielen „kleinen“ individuellen Geschichten. Dabei beinhaltet schon das Wort „Geschichte“ die enge Verbindung von Dichtung und Wahrheit. Diese Doppeldeutigkeit kommt sehr schön im Dokumentarfilm SHALOM ITALIA der jungen Israelin Tamar Tal zum Vorschein. Im Mantel einer persönlichen Familiengeschichte daherkommend, dreht er sich doch im Wesentlichen um die fundamentale Unsicherheit jeglicher Erinnerung.

Die Filmemacherin begleitet ihren Schwiegervater Reuven „Bubi“ Anati (74) und seine zwei hochbetagten Brüder Andrea (82) und Emmanuel (84) auf eine Reise in die Vergangenheit. Ursprünglich stammte die jüdische Familie aus Florenz, doch seit 1945 leben die Anatis und ihre Nachfahren in Israel. Die Jahre der Naziherrschaft und Judenverfolgung in Italien überstanden sie nur mit viel Glück. 

Damals zog die Familie von Unterschlupf zu Unterschlupf. Schließlich mußten sie sogar in einer Höhle mitten im Wald Zuflucht suchen und dort einen Winter überstehen. Nach eben dieser Höhle sucht Bubi schon seit Jahren erfolglos. Damals war er gerade vier Jahre alt und hat nur sehr verschwommene Bilder von dieser Zeit im Kopf. Mit Hilfe seiner älteren Brüder will er den Ort endlich finden und damit Klarheit über seine Erlebnisse bekommen. Zum ersten und wohl auch letzten Mal suchen die drei die Orte ihrer Kindheit auf.  

Der Film lebt vor allem von seinen sehr charmanten Protagonisten. Emmanuel, ein bekannter Professor für Archäologie, fällt das Laufen schon schwer. Andrea dagegen klettert mit über 80 Jahren noch immer auf Berge. Bubi sorgt für das leibliche Wohl der Truppe. Der Umgang der drei gegensätzlichen Brüder miteinander ist so kauzig wie liebenswert.

Im Verlaufe der Reise wird klar, daß jeder Bruder andere Erinnerungen an 70 Jahre zurückliegende Ereignisse hat. Während die Jüngeren den Aufenthalt im Wald vor allem mit Spaß und Abenteuer assoziieren, verbindet der Älteste damit Entbehrungen und Gefahr. Wiederum decken sich die Erinnerungen der Brüder nur bruchstückhaft mit derjenigen der wenigen noch verbliebenen Zeitzeugen vor Ort. So hat jeder seine eigene Deutung der Vergangenheit, und die Schwierigkeit bleibt, daraus eine gemeinsame Geschichte zu konstruieren. Das gilt auf der familiären wie auf der gesellschaftlichen Ebene.

Originaltitel: SHALOM ITALIA

Israel/D 2016, 71 min
FSK 0
Verleih: GMfilms

Genre: Dokumentation

Regie: Tamar Tal

Kinostart: 04.05.17

[ Dörthe Gromes ]