D 2014, 96 min
FSK 0
Verleih: Salzgeber

Genre: Dokumentation, Biographie

Regie: Gerd Kroske

Kinostart: 23.04.15

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Striche ziehen

Der Verräter unter uns

Als wäre es ein Verbrechen: Teenager sprühen mit Farbdosen ihre Gedanken an Hauswände: „Macht aus dem Staat Gurkensalat“ oder „Neue Männer braucht das Land“ steht da geschrieben. Aus heutiger Sicht eher Bagatellen. Doch Anfang der 80er Jahre in der DDR ist mit derlei jugendlicher Provokation nicht zu spaßen. Was die Halbwüchsigen zudem nicht ahnen: Einer aus den eigenen Reihen hatte die Aktion an die Stasi verraten.

Was dann folgt, soll die Lebensläufe von Frank Willmann, Grit Färber, Wolfram Hasch, Frank Schuster und Thomas Onißeit bis heute nachhaltig beeinflussen. Mehrere Monate sitzen sie in Untersuchungshaft, und auch danach wird ihnen das Leben schwergemacht. Verweigerte Ausbildung, Bespitzelung, Ausgrenzung. Mitte der 80er Jahre reisen sie nacheinander in den Westen aus oder werden abgeschoben. Ein Riß in der Biographie, noch bevor alles richtig angefangen hat.

30 Jahre später nun reißt der Dokumentarfilmer Gerd Kroske alte Wunden wieder auf. Er sucht die Freunde von damals auf, steigt hinab in dunkle Keller, in denen sie Punkkonzerte veranstalteten, besucht mit ihnen die Erfurter Stasi-Zentrale, in der hinter schallgedämmten Türen Geständnisse erzwungen wurden. Sichtbar werden ein Staat und seine Machtinstrumente – und was die mit den Menschen gemacht haben. 2010 durchforsten Willmann und die anderen im Zuge eines Buchprojektes ihre Stasiakten und stolpern über IM „Onne“ alias Jürgen Onißeit, der Bruder von Thomas. Ab 1981 hatte er Informationen aus der Weimarer Punkszene, der er selbst angehörte, an die Staatssicherheit geliefert, bis er 1984 ausreiste.

Das Besondere an STRICHE ZIEHEN ist, daß Kroske es schafft, alle Beteiligten vor die Kamera zu holen. Da sind nicht nur die Verratenen, gleichermaßen sieht man die Welt durch Jürgens Augen, der erklärt, warum er mit der Stasi kooperierte, und wie er glaubte, die Sache „unter Kontrolle“ zu haben. Am Ende hat er die Größe, „den Fehler seines Lebens“ einzugestehen, dennoch verhallen entschuldigende Worte gegenüber den alten Weggefährten hinter Schuldzuweisungen, Verletzungen und Verdrängung. Das ist tragisch und spiegelt die tiefen moralischen Gräben, die dieser kleine Staat schaufelte, und über die selbst nach über einem Vierteljahrhundert keine Brücke gebaut werden kann.

[ Claudia Euen ]