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Ultranova

Atmosphärisches und karges Debüt

ULTRANOVA ist ein Film für Leute, denen es gegeben ist, mit nur einem einzigen Augenaufschlag viel zu entdecken, die den Wert von Momenten noch erachten können und in diesen genügend Stoff auffinden, um selbst Geschichten entstehen zu lassen. Vielmehr als solche eingefangenen Momente, kleine Begebenheiten gibt der Belgier Bouli Lanners in seinem mutigen und radikalen Debüt nämlich nicht vor.

Im Intro kriecht ein junger Mann aus einem verunglückten Auto, richtet sich auf und schaut sich um. In der nächsten Szene wird Dimitri vorgestellt, als introvertierter Einzelgänger und Vollwaise, dem seine Mitmenschen gern ein Geheimnis andichten wollen. Das soziale Umfeld freilich ist spärlich. Hauptsächlich besteht es aus Arbeitskollegen, mit denen er schlüsselfertige Häuser verkauft. Schauplatz ist eine brachliegende Industrielandschaft irgendwo in Wallonien. Jenseits seines vernünftigen Jobs steht Dimitri allein und einsam inmitten dieser tristen Einöde. Die Tage verstreichen ereignislos, die Monate, vielleicht die Jahre. Über seine Nachbarin Jeanne lernt er eines Tages Cathy kennen. Eine Freundschaft nimmt ihren Anfang, von der beide Unterschiedliches erhoffen.

Sobald der Zuschauer glaubt, er könne eintauchen in eine fortlaufende Handlung, wird er enttäuscht. Mit Kameraschwenks in den Himmel unterbricht Lanners methodisch die Szenen und leitet zu neuen über. Es bleibt bei den kurzen Einblicken in das Leben der Figuren, ohne Erklärungen für das Woher und Wohin, ohne erkennbares Interesse auch für Hintergründe und Zusammenhänge. Lanners’ Beobachtungen aus dem Alltag aber sind genau, seine Bilder stets atmosphärisch. Ein von selbst explodierender Airbag wird zu einem Sinnbild mit dramaturgischer Funktion, und im Cinemascope-Format wird das gestörte Verhältnis des modernen Menschen zu seiner Umwelt überdeutlich: Die gewählten Ausschnitte sind gewaltig, die Abbildungen dabei karg, und die Figuren finden sich zumeist an den Rand gedrängt, als wollten sie dem Bild und gleichsam der Tristesse darin entfliehen.

Daß eine solche Flucht gelingen möge, wünscht man Dimitri, dessen Einsamkeit in der Landschaft nur von der Einsamkeit unter Menschen abgelöst zu werden scheint. Man wünscht es auch Jeanne, die schon lange fort will, man wünscht es Dimitris Kollegen Philipp und auch Cathy. Und am Ende wünscht man sich dies auch ein bißchen selbst.

Originaltitel: ULTRANOVA

F/Belgien 2004, 86 min
Verleih: Peripher

Genre: Drama

Darsteller: Vincent Lecuyer, Hélène de Reymaeker, Marie du Bled

Regie: Bouli Lanners

Kinostart: 23.02.06

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.