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Unplugged: Leben Guaia Guaia

Rio Reisers Erben und das Establishment

Luis und Elias sind zwei 20jährige Schlakse mit wildem Haar und großen Träumen. Mit 17 entschieden sie sich, die Schulbank gegen die Straße zu tauschen und reisen als Guaia Guaia seitdem mit Instrumenten, Zelt und Generator durch die Welt. Ihre ganze Habe paßt in zwei umgebaute Mülltonnen, die sie bunt angemalt wie überdimensionierte Hackenporsche hinter sich her rollen. Die beiden singen in Oberammergau, Düsseldorf und Berlin (Auch auf der Sachsenbrücke waren sie schon, vielleicht habt ihr sie gehört?) mit rauhen Stimmen von Revolution, fliegenden Autos und dem täglichen Kampf zwischen Bequemlichkeit und Ideal. Sie verbringen ihre Nächte in fremden WG-Zimmern, verlassenen Bahnwärterhäuschen oder im Zelt. Nie bleiben sie lange an einem Ort, die nächste bundesdeutsche Fußgängerzone wartet ja nur darauf, von ihnen erobert zu werden!

Dieser Film lebt von der entwaffnenden Naivität und Chuzpe, die Luis und Elias durch die Welt zu tragen scheinen. Wenn sie ihre eigene Lebenspraxis nach einigem Nachdenken mit sanftem Lächeln „ ... schon als ein bißchen terroristisch“ einschätzen, da sie schließlich „ ... gegen all das gerichtet sei, was gesellschaftlich akzeptiert ist“, dann wird man das Gefühl nicht los, diesen Text schon mal irgendwo gehört zu haben. Was Guaia Guaia jedoch von Vorgängern wie Rio Reiser unterscheidet, ist ihre Unaufgeregtheit. Die Zeiten, in denen das „Schweinesystem“ die Zielscheibe aller revolutionären Energien war, sind vorbei. Die Rebellen von heute fangen einfach morgens bei sich selbst an und hören abends genau da auf, wo sie angefangen haben. Die Gesellschaftskritik von Guaia Guaia will das System niederringen, indem sie aussteigt und das System für bedeutungslos erklärt. Die sanfte Mißachtung der herrschenden Umstände statt großer Manifeste.

Der Film endet genau dort, wo er begonnen hat: am Meer. Diese schöne erzählerische Klammer ist zwar dramaturgisch konsequent, kommt aber trotzdem zu früh, denn die spannendste Entwicklung von Guaia Guaia läßt sie leider außer Acht: Die Straßenmusiker wurden im März 2013 vom Major Label Universal gesignt und werden dort ihre Single „Alle Autos fliegen hoch“ veröffentlichen. Ob genau dies die erstickende Umarmung des Establishments sein wird, die schon ganz andere Kaliber niedergerungen hat, oder ob es Luis und Elias gelingt, sich auch mitten im System selbst treu zu bleiben, wird sich wohl erst in den nächsten Jahren zeigen.

D 2012, 94 min
FSK 0
Verleih: W-Film

Genre: Dokumentation, Musik

Regie: Sobo Swobodnik

Kinostart: 11.07.13

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.