Kino in Leipzig ist ... männlich

[ 30.09.2009 ] PLAYER wird 10! Aus diesem Anlaß stellen wir unsere Partner, die Leipziger Kinomacher, in einem gemeinsamen Gespräch vor. Nach den Damen im September-Heft sind nun die Herren dran. PLAYER sprach mit August Geyler (FilmkunstSommertour/Neue Eigentlichkeit), Rainer Weber (CineStar), Michael Ludwig (LURU-Kino, vormals Schaubühne Lindenfels), Veit Geldner (Cinémathèque) und Holger Zigan (Cineding). Michael Vehnor (Regina-Palast) und Torsten Schenk (UCI Nova Eventis) waren verhindert.



Wie ist es in Leipzig, Kino zu machen?

ML: Schwer ist es, glaube ich, überall. Aber der Leipziger Kinogänger ist nachweislich ein bißchen fauler als der Dresdner oder Hamburger. Oder wählerischer! Und er schafft es bisweilen schwer aus der Innenstadt ... Aber dennoch macht es schon Spaß hier, auch weil der Markt recht überschaubar ist.

VG: Na ja, wir wissen leider nicht, wie der Kinogänger tickt. Als Kinostadt ist Leipzig schon lange spannend, weil die Stadt eben so ist, wie sie ist. Leipzig bietet in seiner relativ überschaubaren Größe ein schönes Spielfeld, man kann experimentieren, dabei über die Maßen erfolgreich sein oder richtig auf die Nase fallen. Aber: Insgesamt muß man sagen, daß Kinomachen schon schwerer geworden ist, auch durch die sogenannten neuen Medien, und weil sich die Rezeption von Bildern allgemein verändert hat.

HZ: Trotz aller Leidenschaft: Gerade im Leipziger Westen ist es in der Tat nicht ganz einfach, Kino zu machen. Das liegt zum einen am Stadtteil, zum anderen aber an der Vielfalt, die dem Leipziger kulturell täglich um die Nase weht. Vielleicht muß man da reagieren und eben mehr bieten als nur Film. Kino sollte interaktiver sein, ein Ort von thematisch und personell aufbereiteten Diskussionsrunden. Das Bedürfnis ist bei bestimmten Themen wie zum Beispiel „Integration“ einfach da.

AG: Den Kinozuschauer kennen wir wirklich nicht, das ist ja auch das Spannende, wir haben allenfalls modellhafte Vermutungen. Ich stimme zu, daß der Leipziger von einer wahrlich gigantischen Programmvielfalt verführt wird, allerdings sehe ich die Entgegnung darauf weniger interaktiv als vielmehr selektiv. Zum einen sollte man das – im Wortsinn – Multikulturelle dieser Stadt als Chance und nicht als Manko auffassen, und wenn man ehrlich ist, durch die unüberschaubare Masse an Filmen ist es kaum noch möglich, repräsentative Programme zu erstellen. Film findet derzeit auf so vielen Kanälen statt. Und da hat der Kinomacher – ähnlich wie ein Zeitungsmacher – die Aufgabe zu selektieren: Welche Themen sind wirklich wichtig? Die Menschen sind durch neue Medien wie YouTube reizüberflutet, sie brauchen eigentlich jemanden, der sie wieder an die Hand nimmt. Der Kinomacher muß mit seinen Empfehlungen wieder Vertrauen aufbauen.



Du bist seit einem Jahr in der Stadt. Ein erstes Fazit!

RW: Die Zeit fliegt. Ankommen, die Stadt kennenlernen, die anderen Kinos beschnuppern. Daher kann ich sagen: Hier gibt es in der Tat für jeden etwas. Und ich würde schon der Region -attestieren, daß es eine Kino-affine ist. Das zeigt auch, daß gar nicht wenige Besucher aus dem Umland in unser Haus kommen. Ich bin auch der Meinung, daß der Leipziger anspruchsvoll ist. Da kann man aus allen Marketingrohren feuern: Wenn der Film nix taugt, merken die Leute hier das schnell. Ich bin froh, daß es in dem Jahr gelungen ist, wieder Menschen ins Kino zu holen, die lange nicht dort waren. Das gilt nicht nur für Leipzig. Das hat zum Beispiel mit der 3D-Technik zu tun oder mit unseren anspruchsvollen Sektionen wie der Reihe „CineBook.“ Damit erreichen wir mehr Bildungsbürger – und gerade da denke ich, sind wir auf einen Bedarf gestoßen, ohne daß man gleich, wie es manchmal zu schnell heißt, den Programmkinos das Wasser abgräbt. Kino ist für mich vielfältig – es gibt nun mal kein Kino, in das nur Junge oder Alte, Männer oder Frauen, Studierte oder Arbeiter hingehen. Und mein Auftrag ist es, ein Programm für eine breite Besucherschaft zu machen.



Nach dem Rauswurf aus der Schaubühne – welche Pläne stehen bei Dir an?

ML: Ich nehme jede Arbeit an! Ne, im Ernst, den Startschuß für etwas Neues gibt es mit dem LURU-Kino auf dem Spinnereigelände, da flimmern wir ab Mitte Oktober täglich und so richtig mit 35 mm, eine Mischung aus gutem Repertoire, jeder Menge persönlichen Liebhabereien, später auch Premieren. Wir haben da jetzt keine umwerfenden Slogans, wir machen einfach Kino! Zur Schaubühne: Da schau ich ehrlich gesagt nicht mehr zurück. Und da ja jetzt – wie zu lesen war – gleich zwei Leinwände, die sich einst dem „Arthouse-Mainstream“ verschrieben hatten, fehlen, muß man sagen: Leipzig braucht noch ein richtiges Programmkino. Das kann ich derzeit noch nicht ganz auffahren, aber das LURU als ausbaufähiges Interim macht da schon Sinn. Das unterstützen auch die Verleiher. Es wäre einfach schade, wenn einige kleinere, sehr sehenswerte Filme plötzlich um Leipzig einen Bogen machen müßten. Und schon deswegen suchen wir natürlich nach einem weiteren Standort, wo wir noch einmal richtig anpacken würden.



Konkurrenz quasi auf der anderen Straßenseite – wie bewertest Du den Neustart der Schaubühne?

HZ: Aus wirtschaftlicher Sicht war es schon immer schwierig, die Schaubühne direkt vor der Haustür zu haben. Aber es war immer ein fairer, kollegialer, freundschaftlicher Austausch. Was den Neuanfang anbelangt, bin ich sehr gespannt. Ich kenne René Reinhardt noch nicht, seine Handschrift also auch nicht. Ich persönlich fand die massiven Angriffe ihm gegenüber in letzter Zeit unter anderem im Forum der Schaubühnen-Website eher befremdlich. Ich denke, es muß immer Veränderungen geben, nichts kann und sollte so bleiben, wie es eben immer war. Und schon daher sollte man dem neuen Team eine Chance geben.



Verrat uns ein Geheimnis: Wie verdient man mit einer engagierten, aber eben kostenlosen Initiative wie der FilmkunstSommertour Geld?

AG: Gar nicht! Die Idee entstand in meiner Dachkino-Zeit. Jeder kennt das ja: Im Sommer gehen die Leute weniger ins Kino, daher dachten wir uns, gehen wir halt zu den Leuten – in die Parks, Biergärten ... Aber es ging vor allem auch darum, Berührungsängste mit Filmkunst und dem Medium Kurzfilm abzubauen. Denn dem anspruchsvollen Kino eilt ja manchmal der skurrile Ruf des Elitären voraus: Wer da nach dem Film beim Rotwein im Foyer sitzend nicht mitphilosophiert, der fliegt raus! Und da wollten wir einfach etwas tun. Durch die tolle Zusammenarbeit mit den Gastronomen klappt es, daß wir ganz verschiedene Zuschauerschichten zusammenführen, auch wenn die Kinosituation auf der Tour natürlich nicht perfekt im cineastischen Sinne ist. Aber Menschen zu erreichen, die ansonsten nie Kontakt mit derartigem Programm hätten, ist toll. Die Regisseure, die so auf Tuchfühlung mit ihren Zuschauern gehen können, bestätigen dieses einmalige Gefühl. Es ist auch für den Zuschauer toll, allabendlich zu erleben, daß da ein paar Verrückte immer an anderer Stelle extra für sie etwas aufbauen. Das hat ein bißchen was von Wanderzirkus. Wie gesagt: Reich wird man damit garantiert nicht, aber man muß auch nicht gleich verhungern. Unter anderem freuen wir uns ja über die Unterstützung der Kulturstiftung.



Ihr strebt seit langem nach einer eigenen Spielstätte. Wie konkret ist das denn?

VG: Der Wunsch ist sehr konkret – und auch sehr alt. Ich kann auch nicht bestimmt sagen, ob jetzt der richtige Moment ist, wenn man denn einen Standort hätte, neu anzufangen. Kino mag zwar derzeit boomen, aber für Programmkinos und darunter die noch spezielleren Häuser ist es einfach sehr schwer, den Kopf über Wasser zu halten. Aber natürlich träumen wir ganz intensiv davon, täglich zu spielen, eine zweite Leinwand zu haben – da würden wir auch wirtschaftlich auf ganz anderen Füßen stehen. Andererseits ist unser derzeitiger Standort auch toll, so eine Adresse – trotz aller hausinternen Einschränkungen – aufzugeben, ist auch nicht leicht. Und zum Neustart braucht man neben Finanzen eine (bürgerliche) Lobby – fürs Repertoire und für Filmhistorie, die ich derzeit nicht sehe.



Eine Idee wäre doch, die Cinémathèque zieht als „Kommunales Kino“ ins Schaubühnen-Haus. Hat René Reinhardt schon angerufen?

VG: Also angerufen hat er, diese Frage aber nicht gestellt. Ganz ehrlich: Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß sich eine Stadt wie Leipzig quasi zwei kommunale Häuser leisten kann. Wenn denn René Reinhardt an seinen Plänen, subventioniertes Kino zu machen, festhalten sollte. Selbst eine Stadt wie Berlin konnte es sich nicht leisten. Derartiges Bestreben könnte sich in Leipzig durchaus auch zu einem politischen Problem erwachsen.



Gibt es Kollegialität unter den Kinomachern?

RW: Die gibt es schon, zum Beispiel mit den Kollegen vom Regina-Palast, da gibt es doch einen recht regen Austausch. Zur Passage als zweites Innenstadt-Kino gibt es auch ein kollegiales Verhältnis, wobei ich da feststellen muß, daß es da manchmal ein paar Berührungsängste gibt, die meines Erachtens völlig unbegründet sind. Wir nehmen sicher niemandem etwas weg, manche anspruchsvolleren Filme haben einfach das Potential, in beiden Häusern zu laufen. Persönlich wünschte ich mir von der Passage ein bisweilen klareres, weniger mainstreamiges Profil, zumal ja immer wieder zu hören ist, daß es viele Filme, die klassische Programmkinoware sind, es nicht nach Leipzig schaffen. Ich habe natürlich auch Verständnis für alle wirtschaftlichen Zwänge, aber ein bißchen mehr Mut, gerade als Programmkino, honorieren die Leipziger garantiert. Letztendlich geht es uns allen darum: Wie schaffe ich es, die jeweiligen, zu meinem Haus passenden Filme an die Zuschauer zu vermitteln? Diese daraus resultierende programmatische Vielfalt sollte aufrecht erhalten bleiben.

VG: Also ich bin da immer sehr salomonisch und habe mich als Kinomacher mehr über Verleiher und Weltvertriebe geärgert als über Kollegen vor Ort. Man kann sich hier immer arrangieren, sicherlich manchmal auch als Notgemeinschaft auf Grund der schon erwähnten Lücke im möglichen Angebot. Aber vereint durch das Ziel, kontinuierlich Qualität zu versammeln, kann man in Leipzig schon gut kooperieren.

ML: Ach, Leipzig ist da schon entspannter als Dresden und Berlin beispielsweise. Bei uns spricht man doch immerhin miteinander – trotz Wettbewerb. Und es gibt ja nicht gerade wenige Kino-übergreifende Filmreihen. Also da ist Leipzig schon ganz lässig. Gerade der Austausch mit den Kollegen der Cinémathèque und vom Cineding macht Spaß. Das sind Leute, die sich auskennen. Manchmal ist man sich doch auch unsicher, ob der eine oder andere Filme noch mal etwas bringen kann. Auch logistisch läuft das hier gut, da staunen selbst Verleiher ab und an, wenn Kopien auf direktem, Kosten sparendem Weg getauscht werden.



Wie konkret ist das von Dir und Deinem Team geplante Innenstadtkino?

AG: Jeder, der mal ein Haus gebaut hat, kennt das zur Genüge, was uns passierte. Wir haben den Termin der Eröffnung jetzt schon zum vierten Mal verschoben. Man sollte aus Marketinggründen – wie beim City-Tunnel – nicht das Ziel, sondern den Prozeß kommunizieren. Generell ist es so, daß wir eine Genossenschaft gegründet, Mitglieder erworben, Kapital gesammelt, den Ausbau begonnen haben. Das Konzept ist ein dreifaltiges: Bar, Galerie, Kino, alles klein und fein, aber in toller Lage, in der kleinen Fleischergasse Nr. 8. Der Innenausbau ruht gerade, was ärgerlich, aber dadurch begründet ist, daß das Haus den Besitzer gewechselt hat. Nun hoffen wir, daß es bald weitergeht. Nach der Wiederaufnahme des Innenausbaus brauchen wir so knapp drei Monate, und dann könnten wir starten. Angst muß keiner vor uns haben. Einige Furcht-äußerungen sind uns ja zu Ohren gekommen, das ist alles gar nicht nötig: Wir empfinden unser Haus in Größe und Ausrichtung als eine echte Angebotserweiterung in der Stadt.



An welche Anekdoten Eurer bisherigen Kinoarbeit erinnert ihr Euch besonders gern?

VG: Mich machen die ganz kleinen, schwierigen Premieren, die dann doch funktionieren, immer wieder glücklich. Wenn Kinogäste auch mal danke sagen, so etwas entlohnt doch extrem. Das gibt ein Gefühl, das man sehr schwer beschreiben kann, was aber die Gründe widerspiegelt, warum man eigentlich Kino macht. Spaß macht es auch, Reihen zu kuratieren, eben mal nicht die Katze im Sack zu kaufen, von Verleihern sich beschwatzen zu lassen und auch mal dem Publikum zu mißtrauen. Das nämlich verträgt so manche Überraschung.

HZ: Mich begeistert vor allem immer die Arbeit mit Kindern – das dankbarste, aufmerksamste, ehrlichste Publikum. Das hab ich selbst als Filmvorführer zu spüren bekommen.

AG: Ich erinnere mich an ein großartiges Scheitern – mit unserer Helga-Reidemeister-Werkschau. Wir waren halt völlig unprofessionell, Aufwand und Inhalt brachten uns aus dem Lauf. Es war aber auch ein Irrsinn, 30 Tage am Stück immer in fünf Vorstellungen das komplette Schaffen der Künstlerin zu zeigen. Aber sie selbst war dreimal vor Ort, daraus entstand eine tolle Freundschaft. Wir haben gelernt, daß man die wichtigste Hausaufgabe trotz Streß nicht vernachlässigen sollte: die Öffentlichkeitsarbeit.

ML: Und ich sage nur Werner Schroeter ...

RW: Ich erinnere mich noch immer schmunzelnd an meine Zeit als Kinomacher in Göttingen, da hatten wir Götz George zu Gast. Am roten Teppich standen unzählige kreischende Frauen. Die eine rief immer wieder „Gib mir die Hand, gib mir die Hand!“ Darauf dreht sich Götz George um und meinte trocken: „Wie? Gib mir die Hand – Ich bin doch nicht der Papst!“



Vielen Dank für das Gespräch und auf weiterhin so angenehme Zusammenarbeit.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.