Premium vs. Anstand

[ 24.05.2015 ] Eigentlich sollte hier ein OSCAR-Rückblick stehen. Aber da gibt’s kaum was, das nochmals erwähnenswert wäre (Glückwunsch an Julianne Moore!), also anderes Thema, nämlich der Trend zum sogenannten „Premium-Kino“, bei dem es neben körperlichem Komfort hauptsächlich irgendwie darum geht, für teures (Eintritts-)Geld so weit wie möglich weg von seinen Mitmenschen zu sein. Was an sich erst mal dämlich klingt, schließlich ist Kino immer noch ein Gemeinschaftserlebnis. Doch mal ganz ehrlich: Teilweise macht’s bei näherer Betrachtung leider Sinn, schaut man sich an, wer alles so im Saal sitzt. Der Nebenmann hat kurz vor dem Kartenkauf noch einen Extra-Zwiebeln-und-Knoblauchsoße-Döner hintergehauen und ringt jetzt heftig nach Luft. Dreht man sich benommen weg, werden einem die Augen von grellen Handy-Displays verblitzt, da das Jungvolk auch beim Film gern in Kontakt zur Außenwelt steht. Hinten links entschied sich eine Großfamilie für XXXL-Popcorn-Eimer, weil es zu Hause nix Eßbares gibt, und schaufelt jetzt händeweise den knirschenden Ex-Mais rein (oder schlimmer: wühlt jedes Körnchen einzeln hervor). Zwei Sessel weiter gilt das Prinzip: „Bei Fragen bitte fragen!“, und zwar lautstark-fröhlich in den Saal, wenn nicht gerade während als langweilig empfundener Filmminuten mit der Begleitung über das verfolgende Trauma eines abgebrochenen Fingernagels diskutiert wird. Tragisch auch, daß es den Herrn am Reihenrand fröstelt, weswegen er sich aus einer vorsorglich eingepackten Thermoskanne heißen Tee einschenkt – wieder und wieder und wieder, inklusive Schraubgeräuschen, Schlürfen und schwerem „Plunk!“ beim Abstellen. Es soll auch schon von Hunger geplagte Zeitgenossen gegeben haben, die eingetupperte Suppe (!) konsumierten, was jedes eingeschmuggelte, aus fünf Lagen Alufolie auszuwickelnde Fettbemmchen locker schlägt. Und eine halbe Stunde zu spät kommende Bürger drängeln grundsätzlich radikal zur Mitte durch, während sich animalische Schmerzensschreie unter das Knacken zersplitternder Fußknochen mischen. Das alles soll „Premium-Kino“ wohl nominell abfedern – dabei würde es schon genügen, einander mit Anstand, Rücksichtnahme und Höflichkeit zu begegnen. Gerade auch im Kino, damit das Gemeinschaftserlebnis ein solches bleibt.

Angenehme Abende in großer Runde wünscht

Frank Blessin

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...