Ein Meilenstein am falschen Fleck

[ 02.06.2016 ] Neulich führte der private Kinogang den Autor in THE WITCH. Horror mit knarzig-garstigen Ladies geht grundsätzlich immer, die (US-)Kritik schien durchweg positiv gestimmt, das Hexen-Thema interessiert sowieso, also mal schauen. Gedacht, getan – und einen wegweisenden Genremix entdeckt, der aus wechselnden Winkeln betrachtbar ist: als langsam und ruhig erzählte Mystery. Düsteres Familiendrama. Beklemmende Begleitung einer Reise in den Wahnsinn (inklusive einer wirklich markerschütternden Szene, Stichwort „Krähe“). Coming Of Age im mittelalterlichen Gewand. Von historischen Niederschriften gespeistes Zeitgemälde und facettenreiches Nachsinnen über Bigotterie, Repression, sexuelle Tabuisierung sowie die katastrophalen Folgen. Abstieg in menschliche Abgründe, welcher zeigt, wie ein kleiner Brandherd sich zum mächtigen Feuer ausweitet. Grandios gemimtes Schauspielerkino. Nur eines nicht: 08/15-Tonspur-Horror. Die umgebenden jungen Menschen mußten darob einander gegenseitig lautstark die Handlung erklären (selbstverständlich mittendrin statt danach), wenn sie nicht gerade wieder eifrig versuchten, sich auf den Grund des Popcorn-Eimers vorzuwühlen. Beides zwar ebenso nervtötend, aber gerade noch akzeptabel wie der grellgrün leuchtende Notausgang-Hinweis direkt unter der Leinwand. Schließlich wurde allerdings final quer durch den Saal gelacht und ein argumentativ gut unterfüttertes Fazit gezogen: „Euer Ernst jetzt?! Was für eine Scheiße!“ Wie man hört, kam es einige Abende später in anderem Kino erneut zu sinnlosem Gegröle und dazu rumgeworfenen Snacks. Manieren sind eben nicht mehr en vogue, allerdings darf man gleichfalls fragen: Was bitte hat THE WITCH im Multiplex verloren, eingepfercht zwischen (adäquate Daseinsberechtigung besitzender!) Nach-Feierabend-nett-entspannen-Ware à la WARCRAFT: THE BEGINNING, BAD NEIGHBORS 2 oder WIE MÄNNER ÜBER FRAUEN REDEN? Soll heißen: Entspannungsbedürftigen sei von THE WITCH schlicht abgeraten, zur Auseinandersetzung bereiten Filmfreunden trotz derzeit falscher Platzierung hingegen eine dringende Empfehlung ausgesprochen, und vielleicht kann man das Meisterwerk sogar bald besser im Luru sichten. Dort ist obige Frage nämlich offenbar auch aufgepoppt, weswegen die Chefetage sich dem Vernehmen nach um eine Nachspiel-Möglichkeit bemüht. Wir drücken dafür fest die Daumen – hex hex!

Kino-Erlebnisse zur richtigen Zeit am richtigen Ort wünscht

FRank Blessin

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...