Tanguy

Die Mama kocht, der Papa spricht, das Hausmädchen kümmert sich um Sauberkeit von Wäsche und Wohnung - kurzum: Tanguy läßt es sich gut gehen im elterlichen Schoße. Was an sich und auf den ersten Blick nicht wirklich schlimm ist: doch Tanguy arbeitet als Dozent, verdient einen Haufen Schotter und geht mit Riesenschritten auf die 30 zu. Nesthocker, Elternzocker, Schmarotzer, Pharisäer und jetzt auch noch Nervensäge.

Denn - auch wenn sie nach der Geburt die prophetischen Worte ins Tanguysche Babyohr flüsterte: "Sooo süß, du kannst dein ganzes Leben bei uns verbringen" - bei Edith, der Mutter des Nutznießers, liegen die Nerven blank, sie selbst daher auf der Couch eines Hirnklempners, und der wachsende Haß, ja es ist schon Haß, entlädt sich in einem beunruhigenden Dauerhüsteln. Paul, der Vater des fünften Rads am Wagen, empfand Tanguys permanente Anwesenheit bisher nie als ausgesprochene Last, doch läßt er sich von seiner Frau überzeugen, und ganz schnell steht für beide fest: Tanguy muß raus!

Und sie versuchen alles: das Elternhaus als Schreckenskabinett mit herausragenden Schrauben in der Badtürschwelle, totem Fisch im Kleiderschrank und Pauls tumben Anmachen der wechselnden Freundinnen Tanguys. Nichts hilft. Also muß eine eigene Wohnung für den Sonnenschein her. Fehlanzeige. Der Kleine kriegt pathologische Anfälle und muß zurück. Jetzt bleibt nur noch der Weg zum Anwalt ...

Es ist herrlich, welche bizarren Einfälle Etienne Chatiliez den Eltern ins Hirn legt, um den nervenden Nachwuchs endlich und eigentlich zu spät abzunabeln. So skurril und brachial ihre Methoden auch sind, sie scheinen irgendwie berechtigt. Edith und Paul wollen endlich auch mal frei sein, durchatmen, loslassen. Dabei hätten sie Tanguy früher nur direkt darauf ansprechen müssen. Irgendwann ist eben oft zu spät. Es macht grenzenlosen Spaß zu erleben, wie wenig sich Chatiliez aus familienpolitischer Besorgnis macht. Für ihn gilt: was weg muß, muß weg. Ohne ewige Debatten. Hier zählt Faustschlag vor Quasselei. Und Eric Berger gibt den Tanguy in einer so ätzenden Art, daß man eigentlich nicht anders kann, als ihm die Brille vom Kopf zu schütteln. Seltsam, aber ein Loblied auf ihn und seine darstellerischen Leistungen. Formidable!

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.

Originaltitel: TANGUY

F 2001, 108 min
Label: Universal

Genre: Komödie

Darsteller: Sabine Azéma, Eric Berger, André Dussollier

Regie: Etienne Chatiliez