D/Österreich/Luxemburg 2023, 144 min
FSK 12
Verleih: Wild Bunch

Genre: Drama

Darsteller: Hannah Herzsprung, Hassan Akkouch, Albrecht Schuch, Christian Friedel, Adele Neuhauser

Regie: Chris Kraus

Kinostart: 11.01.24

1 Bewertung

15 Jahre

Melodien für Dämonen

Seit seinem Leinwanddebüt SCHERBENTANZ trägt Chris Kraus unregelmäßig, aber auffällig unbescheiden zum deutschen Autorenkino bei. Unbescheiden deshalb, weil er seine Lieblingsmotive eher dick aufträgt. Schuld, Vergebung, aus der Vergangenheit in die Gegenwart wuchernde Verletzungen. Was seine Figuren umtreibt, ist oft so gewaltig dimensioniert, daß sie eigentlich sämtlich eine Art Zweitfilm brauchen könnten. Jenny von Loeben, das zornig-verschlossene Zentralgestirn seines Knast- und Bewältigungsdramas 4 MINUTEN, bekommt ihn nun: einen zweiten Jenny-Film.

15 JAHRE versteht sich als Fortsetzung ihrer Geschichte. Die 15jährige Gefängnisstrafe hat die maulfaule Klaviervirtuosin abgesessen. Aber ist Jenny nach der Entlassung frei genug, um endlich vorwärts zu leben? Alte Dämonen halten sie auf: Die gestohlene Zeit, das gestorbene Kind, der verflossene Geliebte, für dessen Verbrechen sie büßte – und natürlich Kraus, der seiner gebeutelten Protagonistin nach wie vor keine Zumutung erspart. Zum Beispiel den öden Job in der Putzkolonne der Diakonie. Zum Beispiel die Bekanntschaft mit einem einarmigen, aus Syrien geflüchteten Liedermacher. Zum Beispiel einen Fernseh-Talentwettbewerb, an dem besagter Omar mit ihr unbedingt teilnehmen will. Deutschland sucht nämlich Superstars für den inklusiven Zeitgeist: Kriegs- und andere Versehrte ausdrücklich willkommen. Den Show-Anheizer gibt ein ultrablonder Poptitan namens „Gimmiemore.“ Welche Makel dieser Ex-Punk mit Luxus-Eigenheim zu verbergen versucht, weiß nur Jenny. Sie legt den Putzlappen weg, greift in die Tasten und dann zum Messer.

Racheoperette, TV-Persiflage, Integrationssoap, vielstrophiger Klagegesang auf die grassierende Heuchelei der Wohlmeinenden? Hui. Wer mit Kraus und seinem prominent (und inklusiv) besetzten Ensemble über die volle Filmdistanz geht, gerät ins Grübeln. Zunächst über den enormen Fleiß, mit dem der Autor seiner Freak-Novelle immer noch einen und noch einen unwahrscheinlichen Erzählknoten aufbindet. Dann darüber, ob diese Knoten einen irgendwie „fesseln“, wie der eine oder andere Kraus-Verehrer behauptet, und ob dieses Pasticcio aus Pathos und Karikatur genügend Stilwillen, Tonsicherheit und Schwergewicht mitbringt, um sich nachhaltig einzuprägen. Und dann hat man nach all der Grübelei immerhin einen ziemlich schweren Kopf.

[ Sylvia Görke ]