Originaltitel: ALL OF US STRANGERS

GB/USA 2023, 105 min
FSK 12
Verleih: Disney

Genre: Fantasy, Drama, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Paul Mescal, Andrew Scott, Claire Foy, Jamie Bell

Regie: Andrew Haigh

Kinostart: 08.02.24

5 Bewertungen

All Of Us Strangers

Seelenreise und Gespenstergeschichte

Das Unwiederbringliche wieder zurückbringen, das Unwiderrufliche wieder herbeirufen. Nur einmal noch mit den geliebten Menschen reden, die lange schon nicht mehr da sind. Die physische Gegenwart ihrer Nähe spüren. Der verdammten Vergänglichkeit für ein paar Augenblicke eine Gnadenfrist Gegenwärtigkeit abtrotzen: Es ist diese Sehnsucht, von der Andrew Haighs ALL OF US STRANGERS dicht durchwebt ist; ein Film, der irgendwo zwischen Seelenreise und Gespenstergeschichte irrlichtert.

Drehbuchautor Adam ist wie eingesponnen in seine Einsamkeit. Aus seinem Hochhausappartement schaut er auf die Stadt, die wie ausgestorben unter ihm liegt. Adam scheint tatsächlich weit und breit das einzige Lebewesen zu sein. Ein trauriger Geist in menschenleerer Kulisse. Bis eines Abends der angetrunkene Harry an der Tür klingelt. Und bis Adam, von Sehnsucht verzehrt, in sein altes Heimatviertel fährt, um dort, im Haus seiner Kindheit, die Gnadenfrist schmerzlich flüchtiger Wiedersehensmomente zu erfahren. Zusammen mit seinen Eltern, die immer noch so jung und liebevoll, die immer noch so lebendig sind wie an jenem Tag vor 30 Jahren, als sie bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen.

ALL OF US STRANGERS beginnt in einer großartigen Michelangelo-Antonioni-Atmosphäre. Wie einst der italienische Kinomeister vertieft sich auch Haigh in aller Ruhe in Setting und Sound, in Ambiente und Design, verdichtet Einsamkeitsbilder (Abendhimmel über einer Hochstraße, Flurfluchten im Neonlicht) mit einer beinahe schon flüsternden Tonspur zur hypnotischen Komposition kühler Anonymität.

In die dann aber bald Adams Nachbar Harry ebenso forsch eindringt wie ins Herz dieses verschlossenen Melancholikers. Daß sich zwischen den beiden eine Liebesgeschichte anbahnt, ändert indes nichts daran, daß Adam sich mehr und mehr in einer Phantasmagorie des Erinnerns zu verlieren scheint. Wobei „scheint“ das wichtigste Wort ist, ob dieses Films, in dem das – scheinbar! – einzig wirklich Existente der Phantomschmerz eines furchtbaren Verlustes ist.

Wie furchtbar der dann tatsächlich ist, offenbart ALL OF US STRANGERS erst im letzten Akt. Der dann allerdings im bis dato souverän ruhig atmenden Moll eine doch etwas schrill hohe Oktave Melodramatik hyperventilieren läßt. Eine leider etwas grobe finale Naht im sonst so schön zarten Gewebe des Films.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.