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Anne liebt Philipp

Vom Pippi-Langstrumpf-Faktor

Ein Publikum, das zittert, tobt, jubelt und Szenenapplaus gibt, etwa wenn die Heldin ihrer Konkurrentin mit der Schere den Zopf abschneidet, wer so etwas erleben möchte, der muß in eine Filmfestivalvorstellung für Kinder gehen. Bei ANNE LIEBT PHILIPP ging es auf der letzten Berlinale zur Eröffnung der Kinderfilmsektion „Generation Kplus“ hoch her. Selbst das Publikumsgespräch war lebhafter als in allen anderen Vorführungen zusammen: „Hast Du den Jungen wirklich geküßt?“ Das ist tatsächlich eine spannende Frage, wenn man die Hauptdarstellerin schon leibhaftig vor sich hat.

Ja, es geht um Liebe. Und von Liebe hält die 10jährige Anne Lunde eigentlich überhaupt nichts: Das ist was für Erwachsene. Als Kind genießt man besser die grenzenlose Bewegungsfreiheit und läßt sich nicht durch solche Emotionen an die Leine nehmen. Kaum daß Philipp in die Nachbarschaft zieht, ist es aber doch um sie geschehen. Und da Anne zwar ein rechter Querkopf ist, der überall aneckt und sich nichts gefallen läßt, eine Pippi Langstrumpf par excellence, macht sie es ihrer Nebenbuhlerin beim fantasievollen Wettstreit um Philipps Herz wahrlich nicht leicht, auch wenn die schon als Jung-Modell für Shampoo im Fernsehen auftritt und aus wohlhabendem Hause kommt.

Der Film basiert auf einem skandinavischen Kinderbuch von Vigdis Hjort, erschienen 1984 und überaus erfolgreich. Anne Sewitsky hat daraus einen temporeichen wie einfühlsamen Film über Liebe, Freundschaft und ein Spukhaus geschaffen, wundervoll besetzt und reich an Bezügen zum Liebes- und Freundschaftsleben der Erwachsenen. Überhaupt, die Welt der Erwachsenen und die der Kinder, beide spiegeln sich auf ironische, teils sogar bösartige Weise gegenseitig wider und genießen denselben Stellenwert. Das soziale Gefüge der Kinder wirkt ebenso differenziert und glaubwürdig wie das ihrer Eltern, deren Marotten und Sorgen in exakten, skizzenhaften Beschreibungen wunderbar auf den Punkt gebracht werden.

Höhepunkt des Films sind aber ohne Frage Maria Annette Tanderød und Aurora Bach Rodal. So heißen die Darstellerinnen von Anne und ihrer besten Freundin Beate, die bei ihrer Großmutter lebt und glaubt, zu sterben sobald sie stillhält. „Wahrscheinlich liegt es daran, daß ihre Eltern tot sind“, kommentiert Anne diese Eigenschaft lakonisch. Ihre Art, die Welt zu sehen und zu erleben, ist allemal einen Kinobesuch wert – für Kinder und Erwachsene.

Originaltitel: JØRGEN + ANNE = SANT

Norwegen/D 2011, 83 min
FSK 6
Verleih: Farbfilm

Genre: Kinderfilm, Literaturverfilmung, Poesie

Darsteller: Maria Annette Tanderød, Otto Garli, Aurora Bach Rodal

Regie: Anne Sewitsky

Kinostart: 12.01.12

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...