Originaltitel: ANONYMOUS

GB/D 2011, 129 min
FSK 12
Verleih: Sony

Genre: Historie, Drama, Krimi

Darsteller: Rhys Ifans, Vanessa Redgrave, Joely Richardson, David Thewlis

Regie: Roland Emmerich

Kinostart: 10.11.11

3 Bewertungen

Anonymus

Eine Geschichtsstunde, vom Staub befreit

William Shakespeare war ein Genie. Zumindest bis zur Sichtung dieses Films, denn danach muß man die Liste um einige weniger schmeichelhafte Beschreibungen erweitern, konkret Erpresser, Dödel und nicht zuletzt Betrüger. Was für ein Schuß vor den literarischen Bug! Abgefeuert wird er ausgerechnet von einem Mann, welcher sonst nicht eben für die Demontage geschichtlicher Zusammenhänge, sondern als Zerstörer von Welten bekannt ist, nämlich Roland Emmerich. Ja, tatsächlich, der Spezialeffekte-Guru widmet sich ganz ohne Schnickschnack dem Kostümfilm – und er besteht fast auf voller Linie. Überraschung, die zweite ...

Der Mann entführt also ins Elisabethanische Zeitalter, und womit man sich damals die Zeit vertrieb, ist nicht nur bekannt, sondern wäre theoretisch auch Basis für krachledernes Kino, hätte ihm danach der Sinn gestanden: Mord, Hinrichtungen, politische Intrigen, verbotene Liebschaften. Aber Emmerich hält die seitens eines scharfzüngigen, intelligenten Drehbuchs gesponnenen Handlungsfäden konzentriert in der Hand, webt daraus ein schillerndes Historienkrimidrama, welches sich im Gegensatz zu einigen Kollegen jederzeit gegen den Prunk in Ausstattung und Kleiderordnung zu behaupten weiß. Wir sehen darin Shakespeare als Dieb genialer Worte, als des Schreibens unfähigen Analphabeten, als dummdreiste Witzfigur. Derart überzeichnet, daß die kritische Auseinandersetzung mit seinem Charakter arg nervt, was aber die einzige Schwäche eines sonst großartigen Werkes darstellt und durch einen parallelen Plotstrang Ausgleich erfährt.

Weil das Skript nämlich gerade so rasant Fahrt aufgenommen hat, zerrupft es gleich noch Elisabeth I. in der knisternden Luft. Nichts erinnert an die vorgebliche „Virgin Queen“, wie sie zum Beispiel Cate Blanchett einst porträtierte, nein, hier regiert eine liebeshungrige Frau mit überschäumenden emotionalen Bedürfnissen, kongenial gemimt von Joely Richardson – kokett bis aufbrausend in ihrer jüngeren Ausgabe – sowie der wechselnd kindlichen, fragilen, verzweifelten, am Lebensende gar fast weggetretenen Vanessa Redgrave als alte Königin. Absolut preisverdächtig!

Daß die Inszenierung trotz aller Risiken nie zur Farce gerät, stattdessen sogar häufig wohlige Melancholie über das Geschehen legt, beweist mit Nachdruck, was man bislang kaum zu hoffen wagte: Emmerich kann Geschichten erzählen!

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...