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As Time Goes By In Shanghai

Stolz, Spielfreude und verpaßte Einsätze

Die acht Musiker der „Peace Old Jazz Band“ sind ganz offiziell die älteste Jazzband der Welt – fast alle haben die 70 weit überschritten, der Älteste unter ihnen zählt 93 Jahre. Als Uli Gaulke von der Band hört, spielt sie bereits seit 30 Jahren Abend für Abend im legendären Peace Hotel auf der Bühne und ist in Shanghai eine richtige Berühmtheit. Die betagten und ausgesprochen humorvollen Herren haben miterlebt, was andere nur aus Geschichtsbüchern kennen: Sie waren jung, als der Jazz nach dem Ersten Weltkrieg nach China schwappte, und bekamen die Kulturrevolution in ihrer vollen Härte zu spüren, weil sie als Jazzer als „politisch untragbar“ galten. Mitglieder der Band verschwanden für Jahre in Umerziehungslagern oder mußten ihre Leidenschaft verstecken.

Wenn die Musiker davon erzählen, dann atmet der Film Geschichte. Es wird deutlich, daß wir es hier mit einigen der letzten Zeitzeugen dieser Periode zu tun haben, die sich wie übriggebliebene, sanfte Dinosaurier durch die moderne, geschichtsvergessene und ausgesprochen hektische Millionenstadt Shanghai bewegen, um dort Nacht für Nacht auf der Bühne zu stehen und zu spielen. Es ist wunderbar, wie Gaulke diese Auftritte ins Bild setzt und dabei sowohl den Stolz und die Lebensfreude der Musiker zeigt, aber auch die kleinen Gähner, verpaßten Einsätze und die kaum verhohlenen Blicke auf die Uhr nicht ausläßt.

Als die Band 2012 nach Rotterdam auf das wichtigste Jazz-Festival der Welt eingeladen wird, katapultiert sie dieser „Ritterschlag“ ins Hier und Jetzt der globalisierten (Musik-)Welt und verursacht eine Betriebsamkeit (das Repertoire muß aufgefrischt werden, eine Sängerin wird gesucht), die dem Film einen schnelleren Takt aufzwingt. Leider können weder die alten Herren noch die Dramaturgie mit diesem Takt wirklich Schritt halten. Plötzlich läuft ganz konventionell alles auf „den großen Auftritt“ zu: Da werden Telefonate für die Kamera nachgestellt, Erzählfäden aufgenommen und viel zu schnell wieder fallengelassen, und für einen sicher lohnenswerten Blick in die Binnendynamik zwischen den acht Musik-Dinos bleibt leider kaum noch Zeit.

Daß man das Kino am Ende trotzdem positiv gestimmt verläßt, liegt ohne Zweifel an den bezaubernden Protagonisten, ihrem altersweisen, aber keineswegs abgeklärten Blick auf die Welt und ihrem Rezept für ein langes Leben: nach vorne schauen und lächeln, statt mit dem zu hadern, was ohnehin nicht zu ändern ist.

D 2013, 93 min
FSK 0
Verleih: Neue Visionen

Genre: Dokumentation, Musik

Regie: Uli Gaulke

Kinostart: 28.11.13

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.